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02
Dezember
Keine Angst ...
... die Merkel tut nichts!

 
 
So is dat mit dat
Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung, pflegte mein Vater zu sagen:

'Wir Journalisten haben uns nicht mal ansatzweise ausreichend an die neue Zeit angepasst. Soll unser Berufsstand weiterhin eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen, müssen viele, viele Kollegen eine geistige 180-Grad-Wende vollführend. Leicht wird das nicht. Und die Hoffnung, dass dies tatsächlich passiert ist leider gering.'

Die Old-School-Boys gibt's allerdings auch noch:

'Der Mensch vor dem Computer hat die Welt am Draht, und er nutzt diese Verbindung, um sich zu bereichern, materiell wie geistig, und um sich einzumischen: Der Blogger ist immer und überall, ungefragt und ungehemmt tut er seine Meinung kund - allerdings allzu oft auch unbeleckt von tieferer Kenntnis über das, was er kommentiert.'

 
 
Das Märchen von der großen Gier

Gelingt es mir, die Schadensfälle der Finanzkrise ursächlich auf eine Konstante abzuwälzen, die angeblich tief in der menschlichen Natur verankert sei, dann habe ich die Frage der individuellen Schuld glücklich umschippert: Der Finanzakrobat bei Lehmans oder der Junk-Bond-Friseur von der Citigroup, die wären dann zwar von ihrer Geldgier verführt worden, wenn aber diese Geldgier allen Menschen im dunklen Urgrund ihres Charakters gemein sei, dann ist auch an den Haifischen des Finanzsektors nichts besonders Schädliches mehr: Den Derivatelli träfe schon deshalb keinerlei Schuld, weil alle anderen Menschen in seiner Lage doch genauso gehandelt haben würden. Jedermann sei geldgierig, der Mensch sei nun mal des Menschen Wolf ... diese Melodie pfeifen derzeit fast alle Medien nach, als hätten wir nur ein Problem des 'inneren Schweinehunds':

Finanzkrise: Köhler kritisiert „hemmungslose Gier“ (Focus)

Interview zur Finanzmarktkrise: "Die Gier ist schuld" (Tagesschau)

Finanzkrise: "Man könnte es auch Gier nennen" (manager magazin)

Gegen die Finanzkrise hilft nur Gier (Financial Times Deutschland)

Finanzkrise: Abschied von der Gier (Süddeutsche Zeitung) usw. usf.

Und der Haifisch ist keine Hyäne ...

Kurzum: Deutschland ist derzeit mal wieder von besonders hohen Kanzeln umgeben. Der Tenor all dieser Moralpredigten ist klar: Ein allgemein-menschliches Defizit führte uns erst in Versuchung und nachfolgend in die ökonomische Katastrophe, die Systemfrage stelle sich deshalb gar nicht erst, vielmehr sei jetzt eine Läuterung der handelnden Akteure gefragt. Dumm nur, dass alle Experten, die sich abseits der Medienlandschaft mit der zukünftigen Abwehr solch 'blasenschlagender Kasino-Katastrophen' befassen, durchaus und sehr nachdrücklich die Systemfrage stellen.

Es wäre ja auch zu fragen, ob der Popanz der Geldgier überhaupt eine Konstante menschlicher Gesellschaften sei. Die Antwort hierauf lautet schlicht 'nein'. Das Problem aller Aufklärer im 18. Jahrhundert beispielsweise, die sich um die Aktivierung des Arbeitspotenzials der primitiven Landbevölkerung bemühten - im Projekt der sog. 'Volksaufklärung' - das bestand darin, dass diese träge Masse, statt zu arbeiten, lieber Parties feierte, auf die Kirchweih zog und den lieben Gott einen guten Mann sein ließ, sobald die 'Subsistenz', der schlichte Lebensunterhalt also, gesichert war. 'Gierig' waren diese Leute höchstens nach Braten, nach Musik und nach Branntwein. Deshalb galt es, mit dem Mittel der Aufklärung die damals fiskalisch höchst erwünschte Geldgier zu wecken. Diese Zeit steckte, wie die unsere, daher voller Medien, vor allem von Romanen, worin dem einfachen Bauersmann geschildert wird, wie segensreich und Gott wohlgefällig es sei, wenn man in treuer und habgieriger Pflichterfüllung ein großes 'Mehr' akkumuliere, weit über das hinaus, was man selbst zum Leben bedürfe, damit man dem Kaiser geben könne, was des Kaisers sei. Derartige Traktätlein blieben in der Regel damals noch wirkungslos.

Vergnügungslust besiegt Geldgier.

Die naturgemäße Verachtung jeder Kapital- und Geldgier im Volk reflektieren dagegen 'Sagen', gewissermaßen die echteren Volkserzählungen: Diese von den Forschern emsig gesammelten Sagen, die in der 'oral history' ländlicher Unterschichten zur Abwehr unerwünschten Verhaltens dienten, sind voll mit Geschichten von Bauern, die nachts 'umgehen', weil sie aus Geldgier die Grenzsteine an den Äckern verrücken, von gierigen Müllern, die am Mehl betrügen und denen dafür die Hand aus dem Grabe wächst und vielen anderen überlieferten 'Verbotstafeln' - von den Aufklärern meist 'Aberglaube' genannt - die jedes gierige 'Börsenverhalten' im dörflichen Raum ebenso wirksam wie konsequent bannten. Auch der Katholizismus, in vieler Hinsicht volksnäher als der früh aufgeklärte Protestantismus, zählte die Geldgier - verkörpert im Dämon 'Mammon' - lange zu den sieben Todsünden, für die jeder Christ in der Hölle zu schmoren verdiene.

Von einer solchen massiven Drohung fürs Seelenheil unserer gefallenen Banker sind wir heute weit entfernt: Das Sinnbild der Geldgier dient sogar - verkehrte Welt! - zur Exkulpation, dazu, die kreditlosen Banker von aller Schuld nachträglich weißzuwaschen. Wo Charles Dickens noch einen Ebenezer Scrooge, sozusagen den Börsenmann des Viktorianismus, im Weihnachtsmärchen glaubhaft zur läuternden Katharsis führen kann, da trauert sein heutiger Wiedergänger höchstens den entgangenen Boni und seinem gewohnten Lifestyle hinterher. Die Schicksale jener Häuschenbesitzer aber, deren Lebensträume seine leichthändige Hypothekenvergabe ruiniert hat, diese existenziellen Schicksale, die gehen ihm am Mors vorbei. Ein völlig anderes Bild als bei einem Ebenezer Scrooge zur Dickens-Zeit. So gesehen, ist unsere Zeit moralisch sicherlich auf den Hund gekommen.

Völlerei ist keine Gier - der dritte Geist

Auch den heutigen Börsenwesen aber dürfte das 'Allgemeinmenschliche' zunächst bekannt gewesen sein. Niemand kommt mit defekter Seele auf der Welt. Es bedurfte einer langen Anpassung in der 'Schule des Lebens', damit sie so werden konnten, wie sie wurden. Diese Anpassung wiederum ist in unserer Gesellschaft vor allem eine Sache der 'Peergroup' - Schnösel traf Schnösel - und der mit ihren Ansichten korrespondierenden Medien: Jahrzehntelang gab es das Trommelfeuer all der Lifestyle- und Wirtschaftsblättchen mit ihren grandiosen 'success stories' und 'wealth rankings', dazu das TV mit den Experten-Runden, die uns staunenden Zuschauern versicherten, dass an Milliarden-Boni nicht Schändliches sei, sofern nur der Arbeitgeber noch mehr verdiene, dass 7 oder 8 Prozent Rendite das Mindeste sei, was der kleinste Anleger heutzutage verlangen dürfe, selbst wenn dies aus unerfindlichen Gründen nur in Island der Fall sein könne. Da brabbelten also all diese professoralen Figuren an ihren selbstgestrickten Märlein herum, dass das Geld immer 'arbeite', auch dann, wenn man selbst nichts täte, außer es zur Bank zu tragen, dass 25%ige Jahresrenditen jener Lohn seien, den die Irrealwirtschaft dieser im Kern absolut soliden Finanzmärkte für wagemutige junge Menschen bereitzuhalten pflege, wenn sie nur ihren Job täten, und dass schließlich - sollte die Frage ruinierter 'Kunden' und des anderen allgemeinmenschlichen Ballasts doch einmal auftauchen - dass überall dort, wo gehobelt wird, auch Späne fallen. Das eben sei das Gesetz der neuen Wirtschaft, die sich aber irgendwie letztlich schon perspektivisch und gewisslich segensreich auswirken würde. Anders ausgedrückt: Die Journalisten sabbelten flächendeckend so herum, wie einst die seligen Volksaufklärer, vermittelt über die Medien wurde die neue Geldgier der Menschen 'gemacht', deren verschüttete Milch jetzt so krokodilstränenselig beklagt wird ...

Vielleicht wäre es an der Zeit, einmal an den Vater des Kapitalismus, an Adam Smith, zu erinnern, wonach das 'enlightened self-interest', das 'aufgeklärte Selbstinteresse' die Märkte regieren müsse. Dieses Selbstinteresse bestünde eben nicht im Erzielen kurzfristiger Traumrenditen auf realitätsenthobenen Phantasiemärkten, sondern im Erzeugen langfristiger Gewinnstrukturen in der Realwirtschaft, die das System niemals überfordern und zerstören können, anders, als wir es zur Zeit leider erleben dürfen. Für die destruktive, individuelle Geldgier wäre in diesem Kapitalismus dann kein Platz mehr ...

Bilder: wikimedia / Public Domain

 
 
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