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... neuere Stories
11
Juni
Chet-Chat
Luschtich: Laut einigen Google-Einträgen soll ich schon mit Mark Knopfler zusammengespielt haben. Und Songbücher von mir gibt es auch schon, zum Beispiel da. Traurig, aber wahr: Das ist alles gelogen. Es gibt nur einen wahren Chat Atkins. Nämlich mich. Der andere, dieser Chet Atkins, das ist ja man nur so'n Musikant.
Meister Autor
Meister Autor - so heißt ein unverdient unbekannterer Roman Wilhelm Raabes (BA, Bd. 11) . Heute weist die Rubrik "Kreuzfahrten auf dem Buchstabenmeer" aber auf einen anderen Halbvergessenen hin, auf Heimito von Doderer, der als ein solcher Meister Autor es immerhin bis zu einer eigenen Gesellschaft brachte (hier finden Leser diesen seltsamen Ort für die despektierliche Welthaltung). Heimito von Doderer, Architektensohn, Früh-Hippie im Frack, ein skurriler Wiener, der seine Stadt in Buchstaben bannte wie kein anderer, der es aber nie bis zu einem geachteten Beruf brachte, sondern bestenfalls nur zu durchaus beachtlichen journalistischen Lebensphasen, der nebenher dicke Romane von Weltgeltung schuf unter Zuhilfenahme meterlanger Personalverwicklungspläne, der vor allem aber Tagebücher von schlagender Exzentrizität schrieb. Zwei Zitate aus seinem Repertorium zu Alkoho- und Journalismus sollen dies verdeutlichen: " Ich halte jeden Menschen für voll berechtigt, auf die - von den Ingenieursgesichtern und Betriebswissenschaftlern herbeigeführte - derzeitige Beschaffenheit unserer Welt mit schwerstem Alkoholismus zu reagieren, soweit er sich nur was zum Saufen beschaffen kann. Sich und Andere auf diese Weise zu zerstören ist eine begreifliche und durchaus entschuldbare Reaktion. Wer nicht säuft, setzt heutzutage schon eine beachtliche und freiwillige Mehr-Leistung." " Journalistik entsteht durch die Angleichung eines Autors an die in der Sprache seines Zeitalters jeweils herrschende Art literarischer Herabgekommenheit." Und weil's so schön war, gibt's hier noch eine Zugabe für alle "Ideologen" in Klein-Bloggersdorf: " Gesinnungen entstehen, wenn mehrere Tröpfe auf dem Boden falscher Sprachlichkeit in einen Tropfen zusammenrinnen. Deren viele höhlen zwar noch lange keinen Stein, aber sie füllen verhältnismäßig bald einen Bottich, darin schon allerlei Leben ersaufen kann."
10
Juni
Atheisten haben's besser:
Eins ist klar, nach seinem Tod kommt ein Atheist in die Hölle. Dort eingetroffen, liegt er dann den ganzen Tag am Strand unter Palmen. Ein leicht hinkender Oberkellner mit viel dienstfertiger Ironie in der Stimme bringt ihm auf die kleinste Handbewegung hin leckere Daiquiris und dicke Cohibas, der Mittagstisch ist reich gedeckt, abends geht es in die Luxus-Hütten des Ressorts, wo leicht geschürzte Damen ihn zu sportlicher Betätigung erwarten.
Nur eins stört unseren Atheisten dabei: Folgt er dem Strand am Bogen des türkisblauen Meeres entlang bis zum Ende der Bucht, dann beginnt dahinter eine schwefelstinkende und feurige Welt, in der die Menschen gesotten und gebraten werden. Muslime, Christen, Juden, Hindus, alle Konfessionen dieser Welt wild durcheinander, sie schreien, barmen und bereuen ihre Sünden, während dienstbare Geister des Etablissements sie mit glühenden Zangen zwicken und mit brennendem Öl übergießen. Eines Tages, er platzt fast vor Neugier, hält es der Atheist nicht mehr aus: Er ruft den Oberkellner heran: "Sagen Sie, da in der nächsten Bucht, dieser seltsame Sado-Maso-Club, was passiert dort eigentlich?" Der Oberkellner lächelt feinsinnig und antwortet: "Ach, wissen Sie, diese Gäste erwarten das so."
Katerpflege
Nach dem gestrigen Eröffnungsspiel "schädelt" es heute morgen ein wenig beim Verfasser. Altmeister Wilhelm Buschs weiser Satz aber lässt meinen Kater auf berufskompatible Größe zusammenschnurren:
"Manchmal fällt das Denken schwer. Indes das Schreiben geht auch ohne es."
09
Juni
Mit kurzen Sätzen nicht ans Ziel
Dass im Medienbereich jemand seine Grundsätze bei Fünfen gerade sein lässt, ist nicht außergewöhnlich. Des öfteren stehe ich vor Mittelständlern und erläutere den Zusammenhang von Textgestalt und Direct-Marketing-Erfolg. Die Deutsche Post als Auftraggeberin erhofft sich davon möglichst viele Mailings, ich Honorar und auch Neukunden, die Teilnehmer der Seminare träumen von ungehobenen Umsatzschätzen. Das Problem dabei heißt Vögele, der Siegfried Vögele. Deutschlands Direct-Marketing-Papst predigt - neben vielem Vernünftigen - unentwegt den "kurzen Satz", vor allem deshalb, weil er den eiligen Empfänger der Direct-Marketing-Ware als einen gehetzten, stets leicht entnervten und oft auch dusseligen Hund betrachtet, den man keinesfalls überfordern dürfe: "Maximal 30 Silben pro Satz" will er uns Schreibern gestatten. Da aber die Post bei ihren Aktivitäten auf den Heiligen Stuhl zu Königstein schwört, verkünde natürlich auch ich diese zweifelhafte Weisheit, die meiner Erfahrung widerspricht. Können nicht auch kurze Sätze den Leser aus der Kurve des anvisierten Kaufimpulses tragen? Zur Geschichte: Der übermäßig lange Satz entstammt bekanntlich dem Kanzleistil. Und er zählte zu den hohen Künsten. Juristen und Beamte rühmten sich, elfseitige Eheverträge in einem einzigen Satz formuliert zu haben. Dies ist ein gerichtliches Beispiel aus dem Jahre 1705, das ich bei Johannes Scherr fand, einem der großen Vergessenen deutschen Geschichtsschreibung, der hier einer Pietisten-Sekte nachsteigt, die das Evangelium der freien Liebe verkündete: "Unsers Gnädigen Grafen und Herrn, wir verordnete Richter und Schöppen des Hochgräflichen peinlichen Halßgerichts allhier zu Laasphe, thun dir, Justus Gottfried Winter von Eschwege, dir, Johann Georg Appenfeller von Schleusingen, dir Eva Margaretha, Jean de Vesias, Fürstlichen Eisenachischen Pagen-Hoffmeisters Eheweib, gebohrene von Buttlarin, und dir, Anna Sidonia von Kallenberg von Forstwesten aus Hessen bey Cassel hiermit zu wissen, wie daß hiesiger Hochgräfl. Fiscalis, Amts-Ankläger an einem, entgegen und wider euch allen, als peinlichen Beklagten am andern Theile, wegen beschuldigter Verspottung und Verletzung der Allerheiligsten Majestät und Dreyeinigkeit GOttes (gestalten, du Winter, dich vor [= für] Gott den Vater, du Appenfeller, dich vor GOtt den Sohn, und du Eva Margaretha, dich vor GOtt den heiligen Geist, vor das neue Jerusalem und unser aller Mutter ehren lassen, und ob solche 3. göttliche Personen von euch sichtbarlich aus- und eingingen, gotteslästerlich vorgegeben, und du Eva Margaretha, die Thür solches Aus- und Eingangs seyst, und daß eure Naturen dergestalt mit der Gottheit vereiniget, daß sie zusammen einen Gott und Christum macheten, dahero eure Naturen auch als göttlich müssten veneriret werden, und ihr unter diesem Schein und eurer eingebildeten Gottseligkeit und Frömmigkeit nicht anders als Hurerey, Ehebruch, Blut-Schande, große Gottes-Lästerungen, darunter auch Mord und andere grosse Uebelthaten, vor GOTT und der Welt ärgerliche, abscheuliche, grausame Laster, die man anhero zu setzen billig eine Scheu tragen muss, mit untergeloffen und gegen dich, Anna Sidonia von Kallenbergen, wegen absonderlich beschuldigtem infanticidii, darinn du Winter, und du Eva Margaretha von Buttlar, mit begriffenb, bei diesem Hochgräfl. peinlichen Halß-Gericht verschiedene artikulierte peinliche Amts-Anklagen übergeben, darauf littera affirmative contestiret, ihr zwar auch eure Responsiones darauf judicialiter abgeleget, und weiln ihr eines und das andere verneinet oder sinistre interpretieren wollen, Fiscalis zu eurer Ueberführung denominationem testium cum directorio übergeben und solche nunmehr eydlich und judicialiter prout moris et styli abzuhören gebeten, auch in hoc puncto sowohl von eurem defensore als Fiscali zu Bescheid gesetzt worden, nichtsdestoweniger aber ihr, aus Trieb und Ueberzeugung eures bösen Gewissens, noch vor Eröfnung dieses interlocuts flüchtig worden seyd, und ob man gleich dich Evam Margaretham von Buttlar annoch auf der Flucht ertappet, und du zu Biedenkopf im Hessen-Darmstädtischen auf Ersuchen vom dasigen Beamten arrestiret worden, du dennoch durch Verwechselung der Kleider denen Wächtern entkommen und zum zweytenmahl dich davon und aus dem Staube gemacht, deswegen Fiscalis eine Eductal-Citation gegen euch allen zu erkennen, terminum ad comparendum zu prachgiren und die Citation an öffentliche Orte öffentlich anschlagen zu lassen gebeten hat". Wahrlich - das sind viele Worte für die Verkündung, daß die Justiz ersatzweise Steckbriefe statt der Entflohenen aufzuhängen gedenkt. Und ein grandioses Dokument barocken Sprachwollens in einer einzigen Satz-Girlande. ![]() Der überlange Satz also ist ein Kind des entstehenden neuzeitlichen Staatswesens - und wer nicht glauben will, daß solche Formulierungen zu den Künsten zu zählen sind, der möge sich selbst an einem solchen Gallimathias versuchen. Nebenbei: Bei einem doch recht beachtlichen Stilisten wie Heinrich von Kleist sind die Nachwehen dieses repräsentativen Satzbauwesens noch deutlich zu spüren. Ist aber der kurze Satz besser? In der Literatur finden wir diesen Stil dort, wo das Militärische abgefeiert wird, bei Ernst von Wildenbruch zum Beispiel. Der herausgebellte Kommandostil galt einige Jahre als höchst modern, in der deutschen Kaiserzeit waren die Trompetenstöße und der Telegrammstil wilhelminischer Phrasendrescher allgegenwärtig: "Ein Miesmacher, sag ich. Soll sich gefälligst nicht so anstellen!" Selbst ein Germanist wie Wilhelm Scherer schreibt über Wallenstein ganz im Sinne Vögeles: "Rasch hob ihn der Krieg empor. Der Kaiser liebte ihn, vertraute ihm. Was er anfing, geriet. Aber furchtbare Dinge geschahen im kaiserlichen Dienst. Wallenstein wurde die Geißel der Länder. Tausend Flüche lud er auf sein Haupt. In ganz Deutschland hatte er keinen Freund." Stilistisch ist das Hackfleisch, mit dem Beil getextet, formlos, gestaltlos und kurzatmig wie ein Koma-Patient. Jede Musikalität ist glücklich der Sprache ausgetrieben worden. Und damit - auf die Werbung übertragen - will ein Vögele Kunden gewinnen? Wilhelm Scherer jedenfalls hat sich mit seiner Attitüde das Grab gegraben - nur die Spezialisten kennen seinen Namen. Für mich liegt die Wahrheit stilistisch eher in der Mitte: Wer schreibt, soll den Leser nicht überfordern - aber auch nicht unterfordern. Klar strukturierte Texte, wohl versehen mit starken Verben, die Perioden hauptsatzorientiert und mit anschaulichen Bildern - so erzeugen wir Sätze, die bei allen Verständnis finden, obwohl sie sich durch zwei oder drei Zeilen schlingen. Das wiederum würde ich auf diesen Seminaren aber nur als ketzerische Minderheitsmeinung verkünden. Sonst würde man mir den Vögele zeigen ...
Ich?
Ich habe mein Leben so eingerichtet, dass neben der Redaktion
von Kundenzeitungen, dem Verfassen von Werbetexten, dem Redenschreiben etc. möglichst viel Zeit für Wesentliches bleibt. Vor allem also Zeit fürs Lesen. Ich meine weniger die Lektüre tagesaktueller Medien und redaktionellen Chitchat - ich rede von Texten, wie sie zwischen Buchdeckel passen. Denn die 5.000 Zeichen des üblichen Zeitungsformats können die Welt, glaube ich, nicht "wirklich" und "zureichend" abbilden. Einem gelernten Historiker stößt dabei vor allem die Aktualität der Vergangenheit auf - und Sprachliches, weil mir die journalistische Phrase bis heute einfach nicht gehorchen will. Willkommen ist hier jeder, der etwas zum Thema beizutragen hat. Und seien es nur Witz oder Stil. Ansonsten übe ich mein Hausrecht aus. Dies ist schließlich mein Blog: Wer nicht hören will, wird gehen. Meine Beiträge hier unterliegen dem Copyleft. Sie dürfen kopiert und anderswo veröffentlicht werden, wenn eine "Verlinkung" oder ein eindeutiger Hinweis auf die Herkunft erfolgt. Und hier das Formale: Ich bin erreichbar über: kj@text-atelier.de Dr. Klaus Jarchow Hederner Straße 37 27336 Frankenfeld Zugleich bin ich inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 10 Absatz 3 MDStV Haftungshinweis: Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehme ich keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich. Im Zweifel "querverweise" ich auf dieses gelungene Impressum fern aller gewerblichen Absichten, das für dieses Blog Paragraph für Paragraph ebenfalls gilt.
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