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30
Mai
Sissi und die Doppelmoral
Die Alma Mahler-Werfel galt unbestritten als die schönste Frau Wiens im Fin de Siècle. Vor allem aber war sie das, was man - gnädig gestimmt - heute ein 'dummes Ding' nennen würde. Statt 'Tokio Hotel' schwärmte sie wie ein Backfisch für das große Wagalaweia des hochverehrten Richard Wagner, ansonsten klimperte sie zur Unterstützung anderer auf dem Klavier herum, damit diese die Öffentlichkeit mit Gesangsdarbietungen belästigen konnten. Sie radelte gern und viel nach Ischl oder Marienbad, antisemitische Sprüche kloppte sie unbedarft und im Konsens mit ihrer Umgebung (obwohl die Dame später vor allem Herren mosaischen Glaubens geneigt sein sollte) und ständig war sie - in ihren eigenen Worten - 'duhn'. Woran aber immer nur die einschenkenden Kavaliere schuld gewesen sein sollen. Kurzum: Eine bourgeoise Köpfeverdreherin mit Hang zum Alkohol.
Glücklicherweise hat sie Tagebuch geführt. Denn derartige illiterate Figuren hinterlassen sonst nicht oft Schriftliches. Was eigentlich 'Klassendenken' sei, das nämlich erschließt sich bei solchen Naivlingen sehr viel leichter. "Die Kaiserin ist todt!!", schreibt sie beispielsweise am 11. September 1898, nachdem ein schnauzbärtiger Anarchist namens Luigi Lucheni die arme 'Sissi' in Genf dahingemeuchelt hat. Mag das Entsetzen auch noch so groß sein ("so eine arme gebrochene Frau zu erstechen!"), anschließend wird erst einmal "bei Mama Moll im Schwefelbad diniert", bevor man sich über den Pöbel aufregen kann, der - dies wiederum ist sozialgeschichtlich höchst interessant, um endlich mal all die tränenselige Ganghofer-Bauernlyrik von Grund auf zu widerlegen - keinerlei monarchische Anhänglichkeit zeigt, sondern seinen Alltag fortführt, als wäre nichts geschehen: "Im Dorfe ist Jahrmarkt, und die Bauern sind vergnügt und lustig. - Eine Gemüthsroheit sondergleichen!". Ja - und das was man beim rohen Populus soeben noch kritisierte, das gestattet man sich selbst an diesem 'Trauertag' in vollen Zügen: "Wir nahmen Frida mit zu uns ins Schwefelbad und vollführten den größten Blödsinn. Am Abend kamen die Geiringers noch, und die Kohlberg sang die Arie aus dem Propheten wirklich wunderschön". Tscha - so trauerte in Wahrheit 'ganz Österreich' um seine verblichene Kaiserin ... Woran mich das erinnert? Nun - zum Beispiel an die Leute, die ständig über die hohen Steuern jammern, aber von den Armen unbeirrt mehr 'Eigenbeteiligung' fordern. Was faktisch heißt, die 'Steuern' in ein anderes Wort zu wickeln. Aber so lange es 'die Anderen' trifft: Quod licet Westerwelle, non licet Krawuttke ...
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