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16
April
Corporate Language?
Da gibt es den kommunalen Energieversorger, wo die Verantwortlichen einen unbedeutenden, aber kontinuierlichen Verlust an Kunden nicht ohne Grund dem ‚schlechten Stil’ ihres Vertriebs zuschrieben, der auf jede Zahlungsverzögerung gleich die Keule des Mahnverfahrens auspackt und sich klanglich ähnlich artikuliert, wie ein preußischer Gerichtsbeamter zur Bismarckzeit gegenüber dem delinquenten Untersuchungsgefangenen.

Auf der Suche nach Abhilfe stoßen sie dann auf eine Hamburger Agentur, hinter der Armin Reins, lange im Vorstand der Texterschmiede Hamburg, firmiert, der durch ein neues Outlet sein Konzept von Corporate Language auf dem Markt positionieren möchte.


Das Corpus Delicti ...

"Durch Sprache", so lautet sein Versprechen in den Präsentationsunterlagen, können Kunden künftig "eine Marke bilden und stärken". Zu diesem Zweck skizziert Reins den Weg zu einer "Corporate Language in 12 Schritten". An dessen Ende stünde der Kunde dann da mit einer "ca. 100 Worte fassende(n) Sprachbank", mit deren Hilfe alle Mitarbeiter künftig ebenso flexible wie festgeschriebene "Sprachkorridore" durchwandern können, um - so geführt - ihre ‚linientreuen’ "Anzeigen, Funkspots, TV-Spots, Internet-Auftritte, Kurzmitteilungen, Angebote, Briefings, Rundbriefe, Infos, Schwarze-Brett-Texte, Booklets, Flyer, Prospekte, Kataloge, Mailings, Messe-Einladungen, Vorträge, Pressemitteilungen, Jubiläums-Broschüren, Rezensionen, Testberichte, Kundenzeitschriften, Packungstexte, Callcenter-Argumentationsketten, Sales Folder, Fachhandelsanzeigen, Gebrauchsanweisungen, Garantiekarten, LKW-Beschriftungen, Geschäftsberichte, Firmenporträts, Personalanzeigen, Zeugnisse, Absagen, Einladungen, Rechnungen, Mahnungen, Schulungsunterlagen, POS-Materialien, Werbegeschenke, Visitenkarten" zu verfassen. Fast schien es mir, als enthielte diese Aufzählung schon mehr als die künftig erlaubten 100 Wörter.

Zähle ich schon in einem beliebigen Text all die sprachlichen Hilfstruppen zusammen - 'diese', 'und', 'der', 'ist', 'kann', 'es', 'man', 'welche', 'sind', 'hat', 'das', 'oder' usw. - dann habe ich die postulierten Hundert schon weit überschritten, noch bevor ich den ersten Satz mit Sinn und Verstand formulierte.

Natürlich ist es mir klar, dass es die Interessen der Firmen sind, die solche unerfüllbaren Angebote generieren. In den Vorstandsetagen möchte man endlich die ewigen Vagheiten, die fehlende Messbarkeit und die Irritierbarkeit der Unternehmenskommunikation auf die Ebene der Quantifizierbarkeit herunterbrechen. Sie würde damit handhabbar werden, in kleinere, kontrollier- und prüfbare Größen zerlegt. Mit einem Fachwort: Die Verantwortlichen möchten auf der kommunikativen Ebene auch endlich den ‚Reduktionismus’ einführen. Am Ende, so ihr Ideal, sprächen dann alle in einer legitimierten, abgestimmten und genormten Sprache, die endlich nichts Falsches und Unglaubwürdiges mehr sagen kann.

Dieses Versprechen lässt sich leider nicht einlösen. Das Problem besteht auf ewige Zeiten hin darin, dass eine gesprochene oder geschriebene Sprache gar keine reduzier- und quantifizierbare Größe ist, so schwer das für ein mechanistisches Denken auch einzusehen ist. Die Sprache ist eine Umsetzung kognitiver Vorgänge auf eine symbolische Ebene, mit ihr machen wir unser Denken und Wollen (mit-)teilbar. Ein Reduktionist als ‚schrecklicher Vereinfacher’ würde sagen: Sprache ist Denken in Worte gefasst. Daher gilt folglich auch: Wenig Wörter, wenig Denken. Anders ausgedrückt: Ein Unternehmen, dass seinen Wortschatz freiwillig reduziert, ist notwendigerweise ein dummes Unternehmen.

Ein Wortschatz von 100 Wörtern, der als Vielzweckwaffe nach Ansicht der Propagandisten einer Corporate Language alle aufgeführten Funktionen wunschgemäß erfüllen soll, ist eine Chimäre – um deftigere Ausdrücke zu vermeiden. Schon das Faktum, dass ein aufs Basale reduzierter menschlicher Wortschatz 400 Grundwörter umfasst, spricht gegen das Konzept. Diese Zahl übertrifft den Vorschlag der Agentur bereits um das Vierfache. Trotzdem bilden 400 Wörter nur das Sprachvermögen der aufgebrezelten Friseuse aus dem Blondinenwitz-Cliché ab. Schon die durchschnittliche Abonnements-Tageszeitung benutzt 3.000 Vokabeln - und bestimmt nicht deshalb, weil sie ihre Leser überfordern und beeindrucken möchte. Das wäre dann – bewusst schwammig formuliert - der passive Wortschatz unserer ‚Angestelltenkultur’. Premium-Medien wie die ‚Süddeutsche’ oder ‚Die Zeit’ verwenden sogar einen Grundwortschatz von etwa 5.000 Vokabeln. Alle diese Grundwörter lassen sich durch gewisse Eigenschaften der deutschen Sprache wunderbar zu neuen ‚Komposita’ oder ‚zusammengesetzten Hauptwörtern’ kombinieren. Der tatsächlich verwendete Wortschatz liegt im Deutschen durch solche Rekombinationen des Wortmaterials um den Faktor 10 höher.

Zurück zu den Bedürfnissen des Auftraggebers, der in einer reduzierten ‚Corporate Language’ die Lösung seiner Probleme sucht: Bekanntlich ist jedes Unternehmen ein komplexes System, das in vielfältige soziale Zusammenhänge eingebunden ist - Kunden, Mitarbeiter, Behörden, Öffentlichkeit, Wettbewerb, usw. Die Sprache ist dabei jenes Medium, mit dem wir unsere Interessen innerhalb sozialer Bezüge artikulieren und durchsetzen, mit dessen Hilfe wir die besseren oder schlechteren Argumente formulieren und Fürsprecher gewinnen oder verlieren. Die Frage, die daraus jetzt entsteht, lautet: Können wir innerhalb komplexer Zusammenhänge mit Hilfe einer unterkomplexen Sprache unsere Argumentation überhaupt adäquat und erfolgreich formulieren. Im Falle eines Energieversorgers bspw. eine unumgängliche Gaspreiserhöhung? Das neue Energiesparprogramm? Den Neubau des Kohlekraftwerks? Die Antwort lautet ganz klar: ‚Nein!’: Wer seine Sprache auf den Wortschatz eines Debilen reduziert, der darf an ihre Wirkungskraft keine hohen Erwartungen hegen, er macht seinen Degen stumpf und sich selber blind.

Fazit: Jede freiwillige Reduktion sprachlicher Möglichkeiten ist gewissermaßen eine Kamikaze-Handlung: Selbstmord aus Verzweiflung. Obwohl ein tief gefühltes Bedürfnis vieler Unternehmensführungen dahintersteckt, die endlich ein fortdauerndes Problem jeder Unternehmenskommunikation in den Griff bekommen möchten – notfalls auf brachiale Weise. Es kann nur leider nicht funktionieren, selbst mit der modernsten Motorsäge lässt sich kein Zehn-Gänge-Menü zaubern. Die Lösung ist also anderswo zu suchen. Um ein Ergebnis kurz vorwegzunehmen: Unternehmen müssen gewissermaßen sprachbegabt werden, und nicht sprachbehindert.

Die Hamburger Agentur verspricht ihren Kunden aber noch mehr: Sie will durch die Reduktion der Unternehmenssprache auf einen klar definierten Begriffsfundus das Unternehmen ‚erkennbar’ und ‚unterscheidbar’ machen. Die penetrant-penetrierende Wiederholung eines immergleichen Vokabulars käme somit einer 'Branding-Strategie' im verbalen Bereich gleich. Die Sprache soll die Marke formen: „So wie eine Brand durch Corporate Design ein einheitliches grafisches ‚Gesicht’ bekommt, so verleiht ihr Corporate Language eine charakteristische, unverwechselbare Sprache. … Es geht um das Etablieren eines einheitlichen, sprachlichen Erscheinungsbildes in Sprachstil, Wortlaut und Textfassung in sämtlichen Textbausteinen …“. Klingt zwar doll, ist aber falsch.

Der Grundgedanke ist sicherlich nahe liegend: Was in der grafischen Industrie für Umsatz sorgt, das sollte doch auch im Textbereich und in einer Textagentur den gleichen Effekt erzielen können. Nur sind Grafik und Text zwei Paar Schuhe, Form und Inhalt sind nicht miteinander zu vergleichen, die Krebssuppe ist bis auf weiteres noch keine Krebssuppendose: Jene Differenzierung oder Einzigartigkeit - neudeutsch ‚Uniqueness’ - die im Falle der Grafik höchst erwünscht ist, die hätte im Textbereich den gegenteiligen Effekt. Denn die Existenzberechtigung der Sprache beruht ja gerade darauf, dass sie ‚Verständlichkeit’ und nicht ‚Differenz’ erzeugt: Innerhalb der Mitgliedschaft einer Sprachgemeinschaft sollten idealerweise alle nur eine Sprache sprechen.

Würde jedes Unternehmen plötzlich eine Sondersprachlichkeit pflegen, dann wäre genau dieser Effekt dahin. Es ist ähnlich wie bei einem Fußballspiel: Das Corporate Design sorgt gewissermaßen dafür, dass Spieler verschiedener Mannschaften unterschiedliche Trikots erhalten. Die Textebene aber gleicht dem Spiel selbst – und dieses Spiel heißt ‚Deutsch sprechen’: Auf dem Spielfeld gilt für alle das gleiche Regelwerk, das nur taktisch und spieltechnisch – oder ‚argumentativ’ – mehr oder minder geschickt von den Mannschaften ausgenutzt werden kann. Alle aber spielen das gleiche Sprachspiel, ein Foul ist ein Foul, ein Elfmeter ist ein Elfmeter. Wer sich dem Regelwerk entzieht, der wird nicht verstanden – anders ausgedrückt: Der Markt und die Konsumenten, die großen Schiedsrichter im Wirtschaftsspiel, zeigen die rote Karte. Wer die Regeln bricht, fliegt vom Platz.

Jedes Unternehmen, das mit einer anderen, neuen Sprache auftritt, das ein Privatvokabular erfindet, das macht sich folglich zum Außenseiter. Das sei auch den 'Marketing-Sprachlern' endlich mal gesagt! Denn es gibt im Grunde nur einen Stil und nur eine Sprache. Das ist der große Unterschied zwischen dem ‚Corporate Design’ und jeder ‚Corporate Language’.

Lässt man sich dagegen auf eine ‚Fachsprache’ ein, dann wird man auch nur noch von jenen paar ‚Nerds’ verstanden, die diese Sprache sprechen: „TruConnect(TM) fungiert als serielle Schnittstelle zwischen dem Applikon 1010/1030 Controller und DeltaV. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wandelt TruConnect(TM) den ASCII-Befehlssatz des Controllers von Applikon um und speichert es im von TruBio(TM) OS verwendeten Modbus Protocol. Das Design des TruConnect(TM) ermöglicht einem einzelnen DeltaV, aktiviert mittels des TruLogic(TM) Controllers, bis zu acht (8) 1010/1030 Einheiten von Applikon zu einem konkurrenzfähigen Preis zu steuern“.

Ich jedenfalls wäre auf die ersten Ergebnisse dieser Hamburger Sprachdiät mal gespannt - auf sprachamputiert daherstammelnde Unternehmen nach einer umfassenden und "generellen Tonality-Definition". Gehört oder gelesen habe ich bisher aber noch nichts von diesen seltsamen Wesen.

 
 
Nanu?
"Besonders hoch ist die Zustimmung ... bei den Beamten: 67 Prozent begrüßen Schwarz-Grün in Hamburg."

 
 
Die haben vielleicht Sorgen!
"Erstmals seit 1945 keine Kommunisten im römischen Parlament ..."

Dafür aber Scharlatanisten.

 
 
Finis Bavaria!
"Insgesamt 39 Prozent der Befragten wäre es egal, wenn die CSU ihre absolute Mehrheit verlöre, 32 Prozent würden sich sogar freuen. Nur 29 Prozent würden sich ärgern, wenn die Christsozialen nach 46 Jahren keine absolute Mehrheit im Landtag mehr hätten."


Dabei führt Bayern das verpflichtende Weißblau der CSU sogar im Wappen ...
Bild: wikipedia / gemeinfrei

 
 
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