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... neuere Stories
15
August
Werbetext damals
Mein großer Bruder aus der Schweiz lässt mich gelegentlich an seinen Erinnerungen teilhaben. Vorgeschichte: In unserer Geburtsstadt Bremerhaven gab es nach dem Krieg eine Reihe von familiengeführten Kaffeeröstereien. Darunter auch die - heute längst vergessene - Firma Schlobohm.
Verwehte Spuren Worauf ich hinauswill? Nun - damals mussten Werbetexter noch etwas auf dem Kasten haben. Zum Beispiel vierhebige Trochäen in klassischer Vollendung: Jede Kaffeemühle strahlt, wenn sie Schlobohm Kaffee mahlt. Gut ist auch der hier: Wenn sich im Sturm die Masten biegen, Die Möwen kalte Füße kriegen, Und seekrank wird ein jeder Fisch, Dann Schlobohm-Kaffee auf den Tisch!
12
August
Authentizität ?
Donnerwetter - hier macht ein Wort aber Karriere: 1,79 Mio. Treffer spuckt Google auf die Suchanfrage hin aus. Und verweist meist auf "absolut authentische" Business-, Werbe- und PR-Seiten: "Authentizität ist für uns eines der wichtigsten Erfolgs- kriterien. Wir denken, dass es langfristig besser ist, seine Linie zu halten und gerade heraus zu sein, auch wenn man damit nicht "Everybody's Darling" wird."
Dabei meint das Wort nur das "Echte" und "Glaubwürdige" - hübsch in ein Fremdwort gewickelt, und damit schöngeistig ausgedrückt für Intellektuelle und solche, die so scheinen möchten. Abgeleitet ist es vom griechischen Wortstamm "authos" für "selbst". Und so etwas müssen unsere Marketeere auf teuren PR-Seminaren erst mühsam lernen? Komisches Gewerbe ... Dann gibt's ja auch noch den "authentischen Sprachgebrauch". Der soll da aus dem Loch Ness des Seminarunwesens auftauchen, wo Unternehmen auf einmal "stilvoll" und "mitmenschlich" reden sollen, also gar nicht mehr wie sie selbst. Denn Unternehmen - zumindest also die CEO-Leute aus dem Management, die ich kenne - klingen üblicherweise anders, wenn sie selbst dichten müssen. Sind sie ganz sie selbst - tönen sie also "authentisch" - ist der Sound in etwa so: "In einem umfassenden Prozess ist ein Leitbild entwickelt worden. Dabei wurde die gewachsenen Strukturen und Werte aus der mehr als 125 jährige Tradition und die Grundsätze aufbauend Grundsätze zur Weiterentwicklung der Unternehmenskultur beschrieben, die allen Mitarbeitern eine Orientierung gibt." Danach werde meist ich gerufen, damit ich ein wenig Stil in die überbordende Authentizität bringe und den armen Mann aus den Fallstricken der Grammatik befreie. Die Authentizität geht baden Auch im Alltag ist das Authentische nicht unbedingt das Wünschenswerte. Hier zum Beispiel ein durch und durch authentischer Beitrag, inmitten zahlloser anderer: AUFSTEHEN!!! Was ist denn mit euch allen los? Habt ihr zuviel von TH gesehen und seit umgefallen?! Man die Jungs müssen es aber in sich haben wenn ihr alle umfallen tut wenn sie euch nur zu zwinkern...Boor ne.... Kurzum: Wir sollten die Masse des Authentischen in unserem Leben so behandeln wie den surrenden Mückenschwarm an einem feuchtwarmen Regenabend: Möglichst viel davon umbringen ...
09
August
Aha, das Problem ist also schon älter:
"Noch in seinen politischen Reden sprach er [= Yves Farge] keine Zeitungssprache, sondern die Menschensprache. Das ärgerte die Berufspolitiker."
(Ilja Ehrenburg, Memoiren III, 571)
07
August
Stil ist doch ganz einfach!
In Schreibseminaren löst die Aufforderung, stilbewusst zu schreiben, bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern immer den gleichen Anfangsimpuls aus: Die Texte wandeln sich – die Sätze werden länger, die Wörter »gewählter« und der Duktus »gestelzter«, der Sinn drapiert sich in ein verbales Theaterkostüm, der Ton klingt pathetisch. Kurzum – die Texte wirken plötzlich ebenso ulkig, wie sie zuvor langweilig waren. »Manierismus« heißt dieses Stilmerkmal, das unter bestimmten Bedingungen einem Rilke erlaubt sein mag, nicht aber uns: »Du Ängstlicher, hörst Du mich nicht mit meinen sanften Sinnen an Dir branden (...)?«. Wo aber einem großen Dichter die Unsterblichkeit schwül um die sanften Sinne brandet, umplätschert uns Erdensöhne nur das Lächerliche.
Bei minderen Dichtern – wie bei dem seinerzeit viel gelesenen Albrecht Schaeffer, führte das manieristisch Geschraubte auf direktem Wege in die Vergessenheit: „Ja, wer wüsste je? O schwierige Frage. Der Ernst des Lebens trat nun an Einen heran. Man war ein Prinz, was hatte das zu bedeuten, insbesondere? Wie ging es weiter?“. Fragen sind das! Ein Vöglein zwitschert in den Zweigen; Dem Dichter wird so schwül und eigen ... (Wilhelm Busch: Balduin Bählamm) Wir sollten daher nicht unseren poetischen Spleen pflegen, sondern zunächst einen akzeptablen Alltagsstil entwickeln und beherrschen. Dann erst sollten wir uns „mehr“ zutrauen – wenn wir das dann überhaupt noch wollen. Um diese Grundlagen, die keine manieristische Stelzenläuferei kennen, geht es zunächst. Um einen Text, der so lange "poliert" wurde, bis er ganz und gar mühelos wirkt, obwohl viel Mühe in jedem Satz steckt. Ein Text, der alles »Ergrübelte« meidet, anders als in jenen Seminarbeispielen, wo Schreiber sich die Lizenz zum »Dichten« erteilten. Ein guter Stil kommt niemals »von oben herab«, schon gar nicht vom Parnass, er schließt sich an einen allgemeinen Sprachgebrauch an, ohne ihn zu kopieren. Er verleiht dem Text sozusagen „unsichtbare Qualitäten“, weil er sich dadurch auszeichnet, dass der Leser ihn im Lesefluss gar nicht mehr bemerkt. Salopp formuliert: Stil ist das, was nicht auffällt. Stilgesetze sind dabei weniger wandelbar, als viele denken, sie bleiben aber wichtig – und werden trotzdem immer weniger gelehrt. Ihre Zahl ist überschaubar, sie sind einfach zu verstehen - und vielleicht deshalb nicht ganz so einfach anzuwenden. Noch nicht einmal zwischen den verschiedenen Sprachen bestehen grundsätzliche Unterschiede: Elementare Regeln guten Stils gelten im Deutschen ebenso wie im Englischen oder Spanischen. Ein russisches Beispiel: In einer Polemik gegen die Schreiber und Journalisten seiner Zeit greift Alexander Puschkin das alltägliche Stilverständnis seiner Autorenkollegen scharf an: »Was soll man von unseren Schriftstellern sagen, die es für unwürdig halten, die allergewöhnlichsten Dinge einfach beim Namen zu nennen, und meinen, sie könnten ihre naive Prosa durch Zusätze und welke Metaphern beleben. Diese Leute können nicht »Freundschaft« sagen, ohne hinzuzufügen: dieses heilige Gefühl, dessen edle Flamme usw. Es müsste heißen: »früh am Morgen« – aber sie schreiben: kaum erhellten die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne die östlichen Ränder des azurblauen Himmels – ach, wie ist das alles neu und frisch, ist es etwa schöner, nur weil es länger ist? (...) Genauigkeit und Kürze – das sind die vornehmsten Eigenschaften der Prosa. Sie braucht Gedanken und wieder Gedanken, ohne Gedanken sind die glänzendsten Formulierungen unnütz.« »Genauigkeit«, »Kürze«, »die Dinge beim Namen nennen«, »Inhalt haben« – alles Gesetze, die heute genauso über die Wirksamkeit eines Textes entscheiden, wie im Jahr 1822, als Puschkin diese Polemik schrieb: Noch heute beginnt ein guter Stil am besten damit, dass er sich entschlossen von „missverstandener Literatur“ distanziert, von Manierismen, Ausschmückungen und Tricks. Guter Stil bildet einen Boden, auf dem mit geradem Pflug durch Klarheit, Einfachheit und Ordnung alles zur Aussaat von Inhalten vorbereitet ist.
05
August
Die Informationspest
Starte ich morgens meinen Rechner, dann quillt das Postfach über: Obskure Versandhändler bieten mir genug Viagra für hundert Liebesleben; längst könnte ich mit den versprochenen Penisverlängerungen meine Heimatstadt dreimal umzingeln; ginge ich auf alle Grundstücksgeschäfte ein, gehörten mir die halben USA, wobei wir nicht vergessen wollen, dass auch die nette Lisa einen neuen Lover sucht, weshalb ich mich zu ihrer WebCam-Seite durchklicken möge, wo sie gerade ganz nackt mit ihrer Muschi duscht.
Nicht nur offensichtliche Abzocker und Scharlatane müllen mich mit ihrem »Spam« zu, unter den Nachrichten finden sich auch sinnvolle Angebote: Ein Lieferverzeichnis aller Hersteller und Produzenten der Republik möchte mich als Kunden gewinnen; meine gute, alte taz, das wohl geldverlegenste Medium der Republik, sucht Genossenschaftler; auch soll ich einen Protest gegen die Schließung der KSK unterzeichnen, was für mich als Mitglied der Künstlersozialkasse sicher angebracht wäre… Das Problem ist nicht der „Müll“ allein, das Problem ist die Menge mehr oder minder sinnvoller Information: Ich bewältige längst nicht mehr die Masse von Nachrichten, die auf mich einströmen. Die Information ist selbst »eine Landplage« geworden. So drückt es Dieter E. Zimmer aus. Poussin: Die pestkranken Philister Betrachten wir Information als jene Datenmenge, die wir selbst behalten, bewältigen und verarbeiten können, dann gilt, dass sich in unseren Köpfen seit der Steinzeit nicht viel verändert hat: Die Kapazität der »menschlichen Festplatte« wächst evolutionär nur sehr langsam, wenn überhaupt. Der »Overkill« beim Informationsangebot führt notwendigerweise zu gesellschaftlichen Folgeproblemen. Vor allem die »formierte Gesellschaft«, deren Mitglieder gemeinsame Werte und Normen teilen, ist in Gefahr. Hier einige zentrale Aspekte, so wie ich sie erlebe: 1. Wachsendes Unwissen: Trotz des immer größeren Informationsangebots steigt das Gefühl, uninformiert zu sein. Die Information »befreit« die Menschen nur sehr bedingt, in den meisten Fällen verunsichert das Überangebot die Zeitgenossen. 2. Schwindender Konsens: Außer bei einigen wenigen kommunikativ unausweichlichen massenmedialen Informationsvorgaben, „die jeder kennt“ – ob Dschungelcamp, Irak-Krieg oder „Florida-Rolf“ – sinkt die Menge des allgemein geteilten Wissens: Alle sind über etwas anderes informiert. Auch unser Kollege am Arbeitsplatz. 3. Zunehmende Wissensunlust: Die Resignation steigt, die Menschen beschleicht das Gefühl, »nicht auch das noch« wissen zu müssen. Sie verweigern sich der Information und werden »lernunwillig«. 4. Mangelnde Erreichbarkeit: Der »dichte Verkehr« auf allen Informationskanälen sorgt dafür, dass unsere Informationen nicht »heil durch den Stau« kommen und ihr Ziel selten rechtzeitig – wenn überhaupt – erreichen. Mit anderen Worten: Wir verlieren zunehmend die Fähigkeit, andere überhaupt noch zu informieren. Die große Frage lautet daher: Wie erreichen wir es, dass ausgerechnet unsere Informationen auf einem überbordenden Informationsmarkt bevorzugt ausgewählt, wahrgenommen und verstanden werden? Eine Frage, die für den jungen Autor mit dem Erstlingswerk unter dem Arm ebenso zentral ist wie für den Projektleiter, welcher seiner Geschäftsführung den Zwischenbericht überreicht. Ich betrachte übrigens die Arbeit am »Stil« – neben der Gestaltung - als wirksamste Methode, um trotz der grassierenden »Informationspest« die informative Wirkung zu maximieren. Sofern unsere Inhalte dieses Interesse verdienen. Bitte mehr Stil!
01
August
Schlussverkauf auf der Resterampe
Weil ich's gerade in einem verstaubten Winkel meiner Festplatte entdeckt habe. Muss wohl so um 1990 herum gewesen sein:
Das Märchen von den Gedanken Es war einmal eine brave Frau, die lebte mit Hund und Mann, mit Töpfen und Tassen in einer kleinen, gemütlichen Hütte hoch über den Wassern der Weser. Zeitlebens verdiente sie sich ihren Unterhalt auf ehrliche Art und Weise, wenn auch oft über sie getuschelt wurde in den verräucherten Stuben ringsum, abends, wenn die Lichter hinter den verhängten Fenstern brannten. Das Tuscheln hatte einen Grund: Paula Pinsel lebte nämlich davon, anderen Menschen die Gedanken zu bemalen. Gedanken sind, wenn sie in einem durchschnittlich dumpfen Kopf zu dämmern beginnen, zunächst schwarzweiß, sehr nebelhaft und überhaupt nicht bunt. Wie graue Spaghetti zwängen sie sich aus schwitzenden Gehirnzellen und bilden dann ein Gewusel, so wie die Krikelkrakel-Zeichnung eines ABC-Schützen. "Mein Chef ist doof und ich bin schlau", weiß der eine, "Männer sind alle Verbrecher" die andere. Die meisten Menschen fühlen sich so richtig pudelwohl erst in einer ganz schlicht eingerichteten inneren Welt, die zwischen zwei Dingen immer nur einen einzigen Unterschied sieht. Mehr zu wissen wäre auch Arbeit - und davon hat man tagsüber schon genug. Das, was in ihrem Kopf geschieht, Gedanken zu nennen, kommt den Menschen selten in den Sinn. Sie sprechen von Tatsachen und Wahrheiten und glauben, ihre Gedanken wären alle da draußen zu finden und wirklich. Sie glauben so fest daran wie an die Scheibe Holländer Käse auf ihrem Frühstücksbrot: Daß der Staat ohne Gesetze nicht existieren kann, sogar daran, daß Gesetze wirklich „sind“. Einige sind überzeugt, daß alle Neger stinken, daß die Polen faul sind und die Deutschen fleißig. Was wäre es aber auch für eine überaus große Arbeit, wenn man dies alles besser wissen wollte? Besserwisser sind daher unter Menschen überhaupt nicht beliebt. Auch in unserem Nordreich an den Ufern der Weser gab es nur ganz wenige Besserwisser. Kam doch einmal solch ein Unglückswurm auf die Welt, so blieb er hier zeitlebens allein. Erwachsen geworden, wanderte er eben aus. Deshalb also war Bremerhaven ein überaus glücklicher Flecken Erde. Der alte König Uwe, genannt Beckmeier, kümmerte sich wenig um die Ausbildung seiner Landeskinder. Hauptsache, sie zogen den Hut bei seinem Anblick. Und die Menschen selbst wollten ihre Wirklichkeiten nicht verlieren. Wenn die nur aus Gedanken bestünden, woran sollte man dann glauben? Niemand weiß ja auch so recht, was Gedanken wirklich sind: Sind es Wörter, sind es Bilder - oder ist es bloß Gefühl, gehüllt in Fetzen aus Ich-weiß-nicht-was. Eins aber ist sicher: An den meisten Menschen in Bremerhaven und anderswo huschten Gedanken nur so vorbei. Das sagte „Wusch!“, man schüttelte kurz den Kopf und machte weiter im Trott. Darüber waren die Menschen auch froh, denn die gedankliche Belästigung war nach dem Anfall gleich wieder vorbei und sie konnten ungestört ihre Arbeit aufnehmen. Gelegentlich aber kam es vor, daß doch einmal ein Geistesblitz in einem Hirnkasten zündete - unter lauter uraltem Plunder. Dort, wo der Gedanke Feuer schlug, hatten diese Menschen nun schrecklich leere und verbrannte Stellen. In vielen Punkten waren sie richtiggehend realitätsblind geworden. Sie gingen dann zu Mamsell Paula Pinsel und baten sie, daß sie ihnen die fehlenden Gedanken ausmalen möge. Der Paula Pinsel aber war nicht zu trauen. Denn sie faszinierten nur besonders schöne oder interessante Gedanken. Deshalb malte sie den Dorfbewohnern von Bremerhaven oft Gedanken in den Kopf, die sie ohne ihre Kunst nie gehabt hätten. Kontrollieren konnten die arglosen Opfer das ja nicht, weil niemand einen Gedanken wissen kann, den er nicht mehr hat. Aber die Nachbarn machte dies argwöhnisch. Sie fanden diese neugemalten Gedanken merkwürdig und die Ansichten des Frischrenovierten ganz anders als früher, viel zu bunt. Sie sagten, die Paula sei durch den Umgang mit so vielen verschiedenen Gedanken nicht mehr ganz richtig im Kopf, sie könne überdies nicht haushalten und werde sicher noch einmal der Gemeinde zur Last fallen. (... geht noch weiter ... zeig ich aber niemandem ...)
Schreiben lernen
Der Peter Rühmkorf aus dem schönen Warstade ist bekanntlich ein poetischer Kopf, dem die Worte auf den leisesten Wink hin gehorchen. Allen also, die in ihren Blogs mit den Satzschlangen kämpfen und die spröde Zicke der Grammatik verfluchen, sei der folgende Ratschlag des Hamburgers ans Herz gelegt:
"Im Vergleich mit und im Gegensatz zu unseren Schwesterkünsten gibt es für unsere mit Wörtern und Begriffen operierende Gattung keine eigentliche Ausbildungsstätte oder Lehranstalt. Das gesamte technische Knowhow, das sich ein angehender Kunstmaler auf der Kunstschule oder ein junger Tonsetzer auf dem Konservatorium anzueignen pflegt, muß man sich bei uns auf privaten Bildungswegen erwerben, und das geht meist nicht ohne Lektüre ab. Immer wieder bei den großen Meistern umsehen und verehrten Vorbildern über die Schulter gucken, aber das ist es dann eigentlich auch schon. (...) Learning by doing, heißt es im Englischen, und Lernen durch Lesen, Lesen und nochmals Lesen möchte ich noch einmal mahnend hinzufügen, wobei der Leseratte natürlich günstigere Auspizien zu stellen sind als dem habituellen Mausklicker. P. R.: "Genialität ist die Absprache von ein paar besonders angegangenen Köpfen"
Die Rechtschreibreform ...
... - besser: die Rechtschreibvorundzurückreform - tritt heute in Kraft. Ich finde es toll, dass auch unsere Bundesbildungsministerin, die Annette Schavan, sich im Urlaub endlich mal mit den Regeln beschäftigen will, die sie da seit Jahren immer feste mitbeschlossen hat. Ganz offensichtlich, ohne zu wissen, worum es überhaupt geht.
Bauruinen schauen dich an.
26
Juli
Sprachmusik
Unsere Kindheit war angefüllt mit zahllosen Rhythmisierungen, Reimspielen und Wiederholungen: «Hoppe, Hoppe, Reiter, wenn er fällt, dann schreit er …», «Hänschen klein, ging allein ...». Über Doppelungen, Reime und Alliterationen (gleichlautende Silbenanfänge) erlernten wir im Brabbelalter jene Silben und Vokale, die irgendwann auch die Dinge benennen: »Wauwau«, »Mama«, »Pipi«, »AA«, »Ei, ei«, »guckguck«.
Alle Lütten murmeln solche Silben selbstvergessen vor sich hin, auch dann, wenn weit und breit kein Zuhörer zu finden ist. Das Repetieren gleicher An- und Endlaute wie auch wiederkehrender rhythmischer Strukturen ist mit einem tiefen Gefühl des Wohlbehagens verbunden: Menschen lernen sprechen, weil ihnen der Vorgang des Sprechens angenehm ist. Das wiederum ist der Fall, sobald bestimmte "musikalische Formen" vorliegen. Da aber alles Lesen immer "ein inneres Sich-Vorsprechen" ist, gelten diese Lautgesetze auch dann, wenn Texte nicht laut gesprochen werden. Später, als wir selbst lesen konnten, kam die Märchenzeit, die sich auch mit zahllosen musikalischen Formeln in unser Gehirn einbrannte: «Oh Fallada, der du hangest, oh Fallada, der du bangest ...», «Timpe Timpe Timpe Tee, Fischlein, Fischlein, in der See ...», «Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden ...». Das Märchen von der Unwichtigkeit der Märchen Was dieser Ausflug in die Sprachentwicklung mit uns Erwachsenen zu tun hat, die wir doch solch Wortgeklingel gar nicht mehr nötig haben? - Gegenfrage: Warum tragen im Fernsehen zahllose Sendungen, die auf "Quote" schielen, "alliterate" Titel, die mit dem gleichen Anlaut beginnen? »Bios Bahnhof«, »Titel Thesen Temperamente«, »Der Siebte Sinn«, »Tagesthemen«, »Kennen Sie Kino«, »Sterns Stunde« usw.? Warum reden wir selbst unwillkürlich in Doppelungen am Beginn oder am Ende unserer Worte: »ohne Rast und Ruh«, »mit Sack und Pack«, »Herr und Hund«, »Schimpf und Schande«, »Eile mit Weile«, »mehr Schein als Sein«, »dumm und dämlich«? Auch unter Erwachsenen sind es musikalische Resonanzen, die uns sprachliche Formeln als angenehm und zugleich als einprägsam erleben lassen. Anders gewendet: Sobald wir – neben allem Inhalt und aller argumentativen Sinngebung unseres Textes – ihn musikalisch und klanglich malerisch gestalten, dürfen wir hoffen, für unser Interesse mehr Aufmerksamkeit, mehr Wohlwollen und mehr Erinnerung an das Gesagte zu finden. Uninteressant? Finde ich nicht ... Der Menschenfänger von Hameln
19
Juli
So kriegt ihr eure Periode
Wer heute von Periode spricht, der denkt nur noch an eine - an die biologische nämlich. Vor 100 Jahren aber wäre in erster Linie die Satzperiode gemeint gewesen - und die entsprechende Wissenschaft hieß folgerichtig und erstaunlicherweise Periodik. In ihr ging es um Satzmelodie, um Satzrhythmus und um das Steigen und Fallen der Tonhöhe im Satz. Um Sprachmusik folglich - und nicht um so außerordentlich fuuuchbaaaare Dinge wie Grammatik etwa. Heute noch, meine ich, wäre die Kenntnis sprachmelodischer Gesetze vielen Bloggern ganz nützlich: Wer besser klingt, wird nämlich auch öfter gelesen. Neudeutsch: So jemand hat mehr Traffic auf seiner Homepage.
Grob gefasst, kann man sagen, eine solide gebaute Satzperiode sollte erst steigen und dann fallen. Der Ton der Stimme hebt sich also zunächst: "Wenn du noch einmal so mit den Türen ballerst ... Um dann, wenn der Hörer erwartungsfroh und gespannt auf dem höchsten Ton des Satzes verharrt, mit der Tür der Konklusion abschließend und tief unten in der Oktave ins Schloss zu fallen: ... dann ist mir das auch egal.". Gourmets haben natürlich gleich gemerkt, dass jener Text, der zwischen dem Kursiven stand, dem gleichen Gesetz gehorchte, auch wenn er erheblich länger war. Weitere Feinheiten - dass man auch einen doppelten Kadenzfall an das Aufsteigen der ersten Takte anknüpfen kann - die sollen uns hier nicht groß beschäftigen. Zur Illustration - das klänge dann in etwa so: "Wenn du noch einmal so mit den Türen ballerst ... dann ist mir das auch egal. ... Dann zieh' ich nämlich aus!" Zum Periodenbau kommt oft noch "Vokalismus" hinzu - man unterscheidet dann zwischen den hellen "aufsteigenden" Vokalen und den dunklen absteigenden. Zu den ersteren zählen E, EI, Ä oder I, zu den letzteren A, O oder U: [aufsteigender Ast] "Ich geh jetzt in die KnEIpEEE, [absteigender Ast] da hab ich meine RUUUh'!". Insbesondere im Bereich des populären Sprachgebrauchs scheint der richtige Klang sogar den Satzinhalt erst nach sich zu ziehen. Mit den Regeln des Vokalismus und der Periodik lassen sich ganze Stilformen "nachbauen", zum Beispiel eine bestimmte Art vorstädtischen Frauengezeters, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass es nur die aufsteigenden ersten Hälften der Periodik verwendet: Soll ich hiääh denn alles alleinEE machEEn ... Wiäää döss hiää wieda aussIIIeht, nEEEJ! Kannssu doin'n Kroam nüch selba wechräumEEEn? Das Erfreuliche daran: Wenn wir die Periodik bewusst nutzen, können wir prompt Gezeter, Gekeife und Schimpfbrabbeln bestens nachahmen. Denken wir uns dann noch die abfallenden Teile des kurzangebundenen Kommentars hinzu, den "Männe" griesgrämig beisteuern könnte, dann haben wir unseren ersten Dialog für das kleine Volkstheater zusammengepfriemelt: Sie: "Soll ich hiääh denn alles alleinEE machEEn ..." Er: "Ja, ichja wOUhl kAUm, wAAA!" Sie: "Wiäää döss hiää wieda aussIIIeht, nEEEJ!" Er: "Dann woart doch nächsmoal nüch so lange, dU AAAlte KUUUH!" Sie: "Kannsu doin'n Kroam nüch selba wechräumEEEn? Er: "Joah, so weit komms nOUch!" Wie man sieht, beherrschen die meisten Leute die Regeln der Periodik offenbar ganz von selbst. In deren Alltag ist richtig Musik drin. Und beim nächsten Mal geht's hier ums Thema "Sprachrhythmus". Dann rockt das richtig.
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