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05
August
Die Informationspest
Starte ich morgens meinen Rechner, dann quillt das Postfach über: Obskure Versandhändler bieten mir genug Viagra für hundert Liebesleben; längst könnte ich mit den versprochenen Penisverlängerungen meine Heimatstadt dreimal umzingeln; ginge ich auf alle Grundstücksgeschäfte ein, gehörten mir die halben USA, wobei wir nicht vergessen wollen, dass auch die nette Lisa einen neuen Lover sucht, weshalb ich mich zu ihrer WebCam-Seite durchklicken möge, wo sie gerade ganz nackt mit ihrer Muschi duscht.

Nicht nur offensichtliche Abzocker und Scharlatane müllen mich mit ihrem »Spam« zu, unter den Nachrichten finden sich auch sinnvolle Angebote: Ein Lieferverzeichnis aller Hersteller und Produzenten der Republik möchte mich als Kunden gewinnen; meine gute, alte taz, das wohl geldverlegenste Medium der Republik, sucht Genossenschaftler; auch soll ich einen Protest gegen die Schließung der KSK unterzeichnen, was für mich als Mitglied der Künstlersozialkasse sicher angebracht wäre…

Das Problem ist nicht der „Müll“ allein, das Problem ist die Menge mehr oder minder sinnvoller Information: Ich bewältige längst nicht mehr die Masse von Nachrichten, die auf mich einströmen. Die Information ist selbst »eine Landplage« geworden. So drückt es Dieter E. Zimmer aus.


Poussin: Die pestkranken Philister

Betrachten wir Information als jene Datenmenge, die wir selbst behalten, bewältigen und verarbeiten können, dann gilt, dass sich in unseren Köpfen seit der Steinzeit nicht viel verändert hat: Die Kapazität der »menschlichen Festplatte« wächst evolutionär nur sehr langsam, wenn überhaupt. Der »Overkill« beim Informationsangebot führt notwendigerweise zu gesellschaftlichen Folgeproblemen. Vor allem die »formierte Gesellschaft«, deren Mitglieder gemeinsame Werte und Normen teilen, ist in Gefahr.

Hier einige zentrale Aspekte, so wie ich sie erlebe:

1. Wachsendes Unwissen: Trotz des immer größeren Informationsangebots steigt das Gefühl, uninformiert zu sein. Die Information »befreit« die Menschen nur sehr bedingt, in den meisten Fällen verunsichert das Überangebot die Zeitgenossen.

2. Schwindender Konsens: Außer bei einigen wenigen kommunikativ unausweichlichen massenmedialen Informationsvorgaben, „die jeder kennt“ – ob Dschungelcamp, Irak-Krieg oder „Florida-Rolf“ – sinkt die Menge des allgemein geteilten Wissens: Alle sind über etwas anderes informiert. Auch unser Kollege am Arbeitsplatz.

3. Zunehmende Wissensunlust: Die Resignation steigt, die Menschen beschleicht das Gefühl, »nicht auch das noch« wissen zu müssen. Sie verweigern sich der Information und werden »lernunwillig«.

4. Mangelnde Erreichbarkeit: Der »dichte Verkehr« auf allen Informationskanälen sorgt dafür, dass unsere Informationen nicht »heil durch den Stau« kommen und ihr Ziel selten rechtzeitig – wenn überhaupt – erreichen. Mit anderen Worten: Wir verlieren zunehmend die Fähigkeit, andere überhaupt noch zu informieren.


Die große Frage lautet daher: Wie erreichen wir es, dass ausgerechnet unsere Informationen auf einem überbordenden Informationsmarkt bevorzugt ausgewählt, wahrgenommen und verstanden werden? Eine Frage, die für den jungen Autor mit dem Erstlingswerk unter dem Arm ebenso zentral ist wie für den Projektleiter, welcher seiner Geschäftsführung den Zwischenbericht überreicht.

Ich betrachte übrigens die Arbeit am »Stil« – neben der Gestaltung - als wirksamste Methode, um trotz der grassierenden »Informationspest« die informative Wirkung zu maximieren. Sofern unsere Inhalte dieses Interesse verdienen.


Bitte mehr Stil!

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