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13
Juli
Neue Medien - alte Phrasen
"Wenn du ein Adjektiv erwischst, bring es um!", forderte einst Mark Twain. So weit würde ich nicht gehen, aber die "stehenden Adjektive", die mit ihrem angetrauten Hauptwort schon Goldene Hochzeit feiern, die zumindest sollten wir standrechtlich erschießen:

In erster Linie ist natürlich die PR-Szene voll davon - bei ihren "kompetenten" Dienstleistungen, der "transparenten" Unternehmenskommunikation oder den "neuesten" Entwicklungen erübrigt sich jeder Einzelnachweis. Das fällt allen Tanja-Anjas einfach so in den Schoß.

Aber wirklich gefeit ist niemand: Da drückt die gesellschaftliche Verantwortung, die begeisterten Marktwirtschaftler klopfen sich auf die Schultern, ein einfacher Bürger spukt durch die Zeilen oder die fetten Karpfen schnappen nach Luft. Das Phänomen ist buchstäblich überall.

"Wo ist dein Problem?", könnte vielleicht jemand sagen. "Mein Problem ist die Phrase, die daraus resultiert", würde ich ihm antworten: "Und zwar nicht deshalb, weil es eine Phrase ist, sondern weil sie Leser aus dem Text vergrault. Jedes Fett im Text wirkt so wie Körperfett am Badestrand: Den Leser ekelt's, seine Augen wandern ab, er sucht etwas Reizenderes, das seine Aufmerksamkeit erneut fesselt. Findet er nichts, ist er weg."



Schenken wir uns also die "abgedroschenen" Phrasen - den "schnellen" Sportwagen, das "weltweite" Netz, die "attraktiven" Konditionen, die "verarmten" Massen, das "andere" Geschlecht, die "unabhängigen" Medien, den "blutigen" Krieg - und probieren wir's, wenn wir den Adjektiv-Entzug schon nicht durchstehen, zumindest mal mit schrägen Neukombinationen, welche die Aufmerksamkeit des treuen ähh flüchtigen promisken Lesers wirklich fesseln.

 
 
08
Juli
Na na na!
"Der Unterschied zwischen Aktiv und Passiv ist vergleichbar mit dem Unterschied zwischen Leben und Tod", schreibt William Zinsser, der amerikanische Schreibe-Papst.

Dass die Jungs immer gleich übertreiben müssen! Wer von beiden ist denn wohl töter - hä?
Der hier: Er ist tot.
Oder der: Er wird für tot gehalten.

Das Passiv kann oft ganz surreale Qualitäten entwickeln.
Langweilig: Er stirbt.
Gruselig: Er wird gestorben.


Leichenfundstellen

 
 
Affenartige Geschwindigkeit
An manchem Substantiv klebt symbiotisch ein Adjektiv - auch am Wort "Geschwindigkeit". Selbstverständlich habe auch ich schon mal "affenartige Geschwindigkeit" in die Tastatur geklimpert. Wie es aber zu dieser Kombination kam - dat weet de Düwel!



Gestern abend las ich so vor mich hin: "Ludwig Pietsch: Roman meines Lebens", eines der besten Quellenwerke zur preußischen Restaurationszeit zwischen 1848 und 1870. Der Berliner Zeitungsmann erzählt darin von österreichischen PR-Fuzzis am Kaiserhof, die sich in ihren Bulletins stereotyp über die "affenartige Geschwindigkeit" der Preußen lustig gemacht hätten, weil die - ratzfatz! - Kurhessen, Holstein und Hannover besetzten. Bekanntlich gerieten die Österreicher mit ihrem schwerfälligen Train kurz darauf zwischen gleich drei preußische Heersäulen, die sich in "affenartiger Geschwindigkeit" bei Königgrätz vereinten. Da war's dann Schluss mit lustig in Wien. Der Moltke auf seinen heranrasenden Lokomotiven hatte der österreichischen Gemütlichkeit den Garaus gemacht.

Das Komische an meinem Lektüreerlebnis: Seit ich mir die Metapher von der "affenartigen Geschwindigkeit" nur noch in preußischer Ulanenuniform vorstellen kann, benutze ich sie bestimmt nie mehr.


Otto Burkhardt: Ulanen

 
 
02
Juli
Jetzt wird's platt:
Bei der Überlegung, wie sich das schöne Fremdwort "Intellektueller" in eine echte Volkssprache wie das Plattdeutsche übersetzen ließe, fielen mir spontan folgende Ausdrücke ein:

Tüdelheini
Stuvenstinker
Strietmoker
bregenklöterigen Kierl
Afkaat
Stadtminsch

Hat jemand Ergänzungen? Und woher dieses Misstrauen?

Wuemme
Der Norden macht Intellektuelle nass

 
 
28
Juni
Was sehen meine entzündeten Augen?


Reporterchem sei mit seinem "bildungsarm und trotzdem happy" nur eine zutreffende Selbstbeschreibung gelungen, dachte ich zunächst. Bis mir der ganze teuflische Plan aufging: Sie arbeiten an der schlussendlichen Dativierung der Welt: Nieder mit unbeugsamen Hauptwörterm!

 
 
27
Juni
Katzen würden Whiskas kaufen ...
... dieser Slogan-Klassiker ist natürlich ein vierhebiger Trochäus. Mit einer Binnen- und einer Außen-Alliteration.

Der Duft, der Frauen provoziert
... das ist dagegen ein Jambus auf vier Füßen.

Es gibt aber auch Anapäste, Daktylen und vieles mehr.

Die Vorstellung vom Slogan, der dem kokainbeseelten Texter beim Duschen unter der prickelnden Champagner-Brause mal eben vom Parnass zufällt, während ihm die Muse aus der Prekariats-Bar die Testikel krault, die ist jedenfalls ziemlich albern.

Früher gab's sogar mal Bücher dafür.


 
 
26
Juni
Kurz und gut
Ich bin einfach mal ans Regal gegangen, und habe mit geschlossenen Augen einen Band herausgezogen. Erwischt habe ich Alexej Tolstoi: Der Leidensweg, Band 1 in der hervorragenden Übersetzung von Maximilian Schick. Auf Seite 47, zufällig aufgeschlagen, finde ich das erwartete Ergebnis:

»Dascha öffnete die Tür ihres Zimmers und blieb befremdet stehen: Es roch nach feuchten Blumen, und im selben Augenblick bemerkte sie auf ihrem Tisch einen Korb mit hohem Henkel und einer blauen Schleife, sie lief darauf zu und steckte ihren Kopf hinein. Es waren Veilchen, etwas verdrückt und feucht.«

In diesem Text gibt es ganze drei dreisilbige Wörter, dafür aber 21 zweisilbige und 20 einsilbige. Aber nicht ein einziges viersilbiges. Salopp und versuchsweise als These ausgedrückt: Gute Schriftsteller sind höchst einsilbig.

Wir sollten ernsthaft die Wörter, die fünf und mehr Silben zählen, nach dem Recht ihrer Existenz im Text fragen. (ein Drei-Silber, sieben Zwei-Silber, elf Ein-Silber).

Den Text zu kürzen, in ihm ohne Erbarmen zu wüten, ist wohl der kürzeste Weg zu einem guten Stil. »Ich bin doch nicht blöd!« heißt es in der Werbung - und nicht politisch korrekter: »Ich bin doch nicht minderbemittelt!« Der Werbeslogan, in dem »Autolackpolitur« vorkäme, wäre wohl einfach nicht zu schreiben.



Alexei Tolstoi

 
 
25
Juni
Schreibt euch das hinter die Ohren:
wer in der sahara
miete zahlt
beweist mut

doch wer mit tomaten
tennis spielt
beschwört sodom


[Gerhard Rühm]



Jacques Tati in "Die Ferien des Monsieur Hulot"

An die Amateur-Tennisspieler der großen Koalition gerichtet.

 
 
19
Juni
Liebe Leser?
Des öfteren muss ich Editorials schreiben, weil die Geschäftsführung dafür angeblich "keine Zeit" hat. Über andere Gründe will ich hier nicht spekulieren. Geist verbindet bekanntlich: Man gebe mir drei Fakten, die im Text vorkommen sollen, und ich stelle girlandenartig einen ebenso argumentativen wie plausiblen Zusammenhang her.

Typisches Briefing also: "Diesmal müssen wir unbedingt was machen zu dem Ägypten-Special, am besten mit Pyramiden und deren Alter und auch Geheimnis, ja Geheimnis, wissen Sie, nech. Das interessiert die Leute doch. Den Geschäftsbericht, der kommt ja nächsten Monat, den dürfen wir natürlich auch nicht vergessen - aber mehr so allgemein, bloß keine Details. Wer will das schon wissen. Und dann Thema Höflichkeit, das hab' ich mir gedacht, das interessiert mich ja persönlich, weil ich letzte Woche in Österreich war. In Wien - aber ohne meine Frau, höhö! Jedenfalls - da sind die Leute vielleicht höflich, das kann ich Ihnen sagen. Das kennt man hier gar nicht mehr. Also machen Sie da denn mal was draus, ich weiß ja, sie kriegen das hin."

Die ersten zwei Wörter, die ich schreibe, heißen dann "Liebe Leser". Denn ein Editorial darf nach Ansicht dieses Kunden gar nicht anders beginnen. Während bei allen anderen journalistischen Stilformen der "liebe Leser" mausetot ist, er bestenfalls noch als "Zielgruppe", "Öffentlichkeit" oder "Publikum" vorkommt, da kumpelt der Herausgeber auf "seiner Seite" mit diesen imaginierten Wesen, als würde er sie alle noch persönlich kennen. An diesem Punkt hat ein Stück 19. Jahrhundert im Journalismus überlebt: Es wird ein persönliches Verhältnis zwischen dem Autor und seinem Leser fingiert, so als könne der Leser am Text noch erkennen, welches Individuum hier mit ihm spricht. Dabei hat die journalistische Sprache mit ihrem Objektivitätsanspruch den Texten jede Individualität längst restlos ausgetrieben.



Warum ich das erzähle? In den Blogs - finde ich jedenfalls, "liebe Leser" - kehrt ein wenig von dem ursprünglichen Verhältnis zwischen Leser und Schreiber in die Texte zurück.

 
 
14
Juni
In 100 Worten um die Welt:

Mit Interesse blättere ich gerade in einigen Präsentationsunterlagen der Firma  REINSCLASSEN i. Gr., hinter der Armin Reins, der Vorstand der Texterschmiede Hamburg, firmiert, der mit diesem neuen Outlet sein Konzept von Corporate Language auf dem Markt positionieren
möchte. "Durch Sprache" will er künftig "eine Marke bilden und stärken", so lautet das Versprechen auf der ersten von 14 Präsentationsfolien. Zu diesem Zweck skizziert Reins den Weg zu einer "Corporate Language in 12 Schritten". Am Ende dann erhält der Kunde eine "ca. 100 Worte fassende Sprachbank" (doch so viel?), mit deren Hilfe alle Mitarbeiter künftig ebenso flexible wie festgeschriebene "Sprachkorridore" durchwandern dürfen, um - so geführt - ihre brand-mäßig höchst durchgestylten "Anzeigen, Funkspots, TV-Spots, Internet-Auftritte, Kurzmitteilungen, Angebote, Briefings, Rundbriefe, Infos, Schwarze-Brett-Texte, Booklets, Flyer, Prospekte, Kataloge, Mailings, Messe-Einladungen, Vorträge, Pressemitteilungen, Jubiläums-Broschüren, Rezensionen, Testberichte, Kundenzeitschriften, Packungstexte, Callcenter-Argumentationsketten, Sales Folder, Fachhandelsanzeigen, Gebrauchsanweisungen, Garantiekarten, LKW-Beschriftungen, Geschäftsberichte, Firmenporträts, Personalanzeigen, Zeugnisse, Absagen, Einladungen, Rechnungen, Mahnungen, Schulungsunterlagen, POS-Materialien, Werbegeschenke, Visitenkarten" zu
verfassen. Also - wenn dat man nicht schon mehr als 100 Wörter sind!

Sind nicht 1.000 "sinntragende Einheiten" allein schon erforderlich, so meine ich mich zu erinnern, um den Sprachschatz einer chica-mäßig aufgebrezelten Friseuse einigermaßen korrekt nachzubilden? Jedenfalls bin ich auf das Ergebnis dieser sprachlichen Magerkur und auf amputiert daherstammelnde Unternehmen nach einer "generellen Tonality-Definition" schon tüchtichlich gespannt. Bisher habe ich immer gedacht, die kommunikative Potenz der Sprache beruhe darauf, dass es innerhalb einer Sprachgemeinschaft nur eine Sprache nebst einigen Soziolekten gibt, so dass sich alle einigermaßen verstehen. Jetzt aber bekommt im Zuge der Markenpolitik - sorry: "branding strategy" natürlich! - jedes Unternehmen eine eigene Sprache, damit niemand mehr die Marke versteht. Aber, wat soll's - lang lebe der Markterfolg!

Gut ist übrigens auch der folgende Link
     

 
 
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