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26
Juni
Kurz und gut
Ich bin einfach mal ans Regal gegangen, und habe mit geschlossenen Augen einen Band herausgezogen. Erwischt habe ich Alexej Tolstoi: Der Leidensweg, Band 1 in der hervorragenden Übersetzung von Maximilian Schick. Auf Seite 47, zufällig aufgeschlagen, finde ich das erwartete Ergebnis:

»Dascha öffnete die Tür ihres Zimmers und blieb befremdet stehen: Es roch nach feuchten Blumen, und im selben Augenblick bemerkte sie auf ihrem Tisch einen Korb mit hohem Henkel und einer blauen Schleife, sie lief darauf zu und steckte ihren Kopf hinein. Es waren Veilchen, etwas verdrückt und feucht.«

In diesem Text gibt es ganze drei dreisilbige Wörter, dafür aber 21 zweisilbige und 20 einsilbige. Aber nicht ein einziges viersilbiges. Salopp und versuchsweise als These ausgedrückt: Gute Schriftsteller sind höchst einsilbig.

Wir sollten ernsthaft die Wörter, die fünf und mehr Silben zählen, nach dem Recht ihrer Existenz im Text fragen. (ein Drei-Silber, sieben Zwei-Silber, elf Ein-Silber).

Den Text zu kürzen, in ihm ohne Erbarmen zu wüten, ist wohl der kürzeste Weg zu einem guten Stil. »Ich bin doch nicht blöd!« heißt es in der Werbung - und nicht politisch korrekter: »Ich bin doch nicht minderbemittelt!« Der Werbeslogan, in dem »Autolackpolitur« vorkäme, wäre wohl einfach nicht zu schreiben.



Alexei Tolstoi

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