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13
Juli
Was aber ist der Journalist, dass er sich aufspielt?
In seinem Roman Morbus Fonticuli gibt Frank Schulz aus leidvoller Erfahrung Einblicke in die Lebenswirklichkeit deutscher Journalisten, meilenweit entfernt vom mystifizierten Leben an der Seite der Mächtigen, wie bei den wenigen Edelfedern , die sich die deutschen Zeitungsverleger des Renomées wegen (noch?) gönnen. Wo dann "selbst Günter Jauch ins Plaudern kommt". Merken die eigentlich noch was?

Hier also die Ansprache des Chefredakteurs Eugen von Groblock an seine neue Praktikantin:

"ELBE ECHO ist nichts weiter als ein Produkt, ja?, um Profit zu machen. Im Prinzip so überflüssig wie'n Lachsack. Nicht daß du hier investigativen Journalismus zu erlernen hoffst. ELBE ECHO ist Friedland. 'n Durchgangslager, ja? Bestenfalls 'n ausgeleiertes Sprungbrett. Die Finkenwerder wickeln ihre Bücklinge darin ein, ja? Kein normalbegabter Mensch liest unser Witzblatt. Ich jedenfalls werd' nicht mehr lange bleiben. - Unsere Auflage beträgt, einschließlich Altem Land und Nordheide, um die 200.000 Exemplare. Es handelt sich um ein Anzeigenblatt. Das heißt, wir finanzieren uns ausschließlich durch die Annoncen der Koofmichs und Krämerseelen unseres Verbreitungsgebietes. Deswegen sind Bart Bartelsen und Hasy Braune und ihre Helferlein hier die Stars, ja? Nej? Wir nicht. Wir sind ephemere Büttel. Wir sind die Souffleure für die wöchentliche Seifenoper unserer Leser. Wir machen nur deshalb 32 bis 40 Seiten voll, damit die Akquisiteure was anzubieten haben, Bart und Hasy müssen wenigstens behaupten können, es stünden brisante und kurzweilige Geschichten drin, damit der königliche Kunde auch glaubt, daß das freche Freizeitmagazin gelesen wird.


Investigatives von der Süderelbe

(...) Das Blättchen enthält verschiedene Rubriken. "Süderelbe aktuell": sagen wir, Reportage über die Explosion einer Bockwurst in Nincop. Nej? "Süderelbe persönlich": Porträts lokaler Persönlichkeiten wie zum Beispiel des Vorsitzenden vom Hühnerverein Fischbek. "Süderelbe sportiv": Porträts etwa vom Club Kalt duschen e.V. "Süderelbe sieht fern": komplettes Glotzenprogramm mit ironischen Inhaltsangaben von Spielfilmen. "Süderelbe Terminkalender", "Frage der Woche", "Stein des Anstoßes". Und so weiter, nej? Fünfzig Prozent des Textaufkommens bestehen aus sogenannten PRs - hemmungslos zusammengelogenen Lobhudeleien über Geschäftseröffnungen, -neueröffnungen, -renovierungen etc., zumeist billige Köder für Neukunden der Akquisiteure, ja? Und aus sogenannten Sonderseiten, Hoheliedern auf den Spätkapitalismus in Form von spezialthemenzentrierten Berichten oder Artikeln über Einkaufszentren. Nej? - Und zu unserem persönlichen Vergnügen bzw. um uns bei der Stange zu halten - oder, offen gesagt, wir wissen gar nicht warum -, toleriert unsere sehr geehrte Frau Schröder in der Rubrik "Süderelbe kulturell" auch Filmkritiken und Buchrezensionen, Glossen und Satiren progressiver Provenienz."
Frank Schulz: Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien. S. 162 ff

Schon klar, dass Groblock den Absprung erst sehr spät findet. Und ich weiß endlich, wie der Qualitätsjournalismus funktioniert, von dem die deutsche Verlegerschaft so viel Rühmens macht. Weshalb, glaubt der "Print" noch mal, laufen ihnen die Leser weg?

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Phasenweise fand ich "Morbus fonticuli" großartig. Originelle Schreibe, schräge und plastische Figuren. Über Strecken des Buches habe ich mich eher vorwärts kämpfen müssen, um nicht als Leser dem Schulz wegzulaufen. Seine wortgewandte Prosa verlor durch enorm dick aufgetragenes Wuselbunt an Strahlkraft, der Schnodderton von Bülbül und Konsorten geronn im Lichte des Gewolltseins. Zu einigen Charakteren habe ich (vielleicht auch, weil ich noch zu jung bin) nicht wirklich einen Draht bekommen. Bislang verschließt sich mir noch bis zu einem gewissen Punkt, warum Schulz (oder vor allem auch Kapielski, mit dem ich überhaupt nichts anfangen kann) als witzigster deutschsprachiger Autor von allen Feuilletonseiten mit Lob überhäuft wird. Wie auch immer. Dein Ausschnitt hier gehört - bei allem Gemürbel von mir gerade - aber zu den Phasen des Buches, die ich auch großartig fand.
 
Der Text hat zweifellos Längen - und man muss wohl auch Norddeutscher sein, um sich durch all diese "nach Gehör" wiedergegebenen Dialoge hindurchzupfriemeln. Das aber ist ja eben dieser "morbus fonticuli", der sich hier in dieser Zettelwirtschaft austobt.

Inzwischen habe ich auch "Das Ouzo-Orakel", den letzten Band dieser Hagener Trilogie gelesen. Suff, Wahnsinn, Heilung - das die große Abfolge von's Janze. Mir erschließt sich seither einiges: Wie man einer ganz unsentimental verstandenen "Heimat" (im Roman Beeckdörp, in der Realität Hagen an der Wingst) niemals entkommen kann, selbst dann nicht, wenn man sich in den Suff, in die Wissenschaft und den folgerichtig folgenden Wahnsinn stürzt. Oder indem man sich strikte Lebensregeln gibt und auf die andere Seite des Acheron zieht, also in den sozialen Tod. Man muss immer "heimkehren", um "gesund" zu werden, also um irgendwie beruhigt sterben zu können.

Ich lasse für Frank Schulz jeden neuen Grass oder andere "Großschriftsteller" stehen. Und alle zwanzig oder dreißig Seiten trifft's mich so, dass ich für mein Zwerchfell fürchte, wohl auch deshalb, weil ich ähnliche Figuren samt ihrer Sprache aus meiner Jugend kenne.

Den Kapielski dagegen, den kenne ich noch gar nicht - wohl aber den Heiko Jaeger und den Friedrich Theodor Vischer, die Schulz des öfteren erwähnt. Die lohnen einen Blick.
 
Das Norddeutsche liegt mir schon sehr, Hereinfriemelei ist da kaum notwendig, als Ostfriese (der seiner Heimat auch nie wirklich entkommen kann). :)

Grass lasse ich generell häufiger liegen, Jaeger und Vischer schaue ich mir mal an. Kapielski ist ein Berliner Autor, dessen Romane, die ich gelesen haben sich zumeist kodderschnäuzig mit den Auswirkungen von Flüssigem befassen. Zweitausendeins rühmt ihn seit Jahren neben Schulz als urkomischen Überliteraten. Ich persönlich fand ihn bislang eher plump und fade. Nicht deutsch, nicht neu aber äußerst witzig und famos geschrieben finde ich ja "Ein Held seiner Zeit" von Dezsö Kosztolanyi oder auch "Aus Dalkeys Archiven" von Flann O'Brien. Wie auch immer: Hauptsache, es gibt noch eine Menge Lesenswertes. Und vielleicht gewinne ich Frank Schulz ja auch noch mehr ab, wenn ich ihm in einigen Jahren eine neue Chance gebe. ;)
 
Yo, Herr Kapielski - saufen allein genügt nämlich nicht. Flann O'Brien ist der beste Gegenbeweis. Auch der gute Mann, ein mediokrer irischer Beamter, der morgens seinen Mantel in der Behörde aufhängte und ratzfatz in die Kneipe stratzte, weil ihn auf der Arbeit sowieso niemand vermisste, auch dieser Mann also war meist zu stramm, um noch eine vernünftige Rahmenhandlung aufrecht zu erhalten (s. "In Schwimmen zwei Schwäne"), weshalb er seine Romanfiguren antreten lässt, damit sie ihrem Autor den Prozess machen. Resultat: eines der großartigsten Bücher der neueren Literatur. Strunzens "Fleisch ist mein Gemüse" ist übrigens auch recht delikat, wenn man norddeutsche Küche liebt.
 
In Vögeln-zwei-Schwimmer
... ich dachte immer dieses grüne Buch hieße "In Schwimmen-zwei-Vögel"?
 
Dumme Bemerkungen machen - das hamma gerne: Hast du denn nicht beim Andersen gelesen, wie das häßliche, kleine Vögelchen sich zum wunderschönen Schwanenhals auswachsen kann, der alle Frauen verzaubert? Und komm' mir jetzt nicht mit Freud ...

;-)
 
registrieren und danke
eigentlich wollte ich mich ja nie bei blogger.de registrieren. ich finde zwar auch anonyme kommentare doof, aber will mich nicht einloggen müssen, um einen kommentar abgeben zu müssen. swoosh, schreiben, button, click - so muss das gehen.

weil ich aber beim stackenblochen ein kommentar so gereizt hat zu kommentieren, kann ich mich jetzt auch hier bedanken für den link bei mir zu diesem artikel - war sehr lesenswert. gibt es das buch noch? kann man es mal ausleihen?
 
Das Buch gibt es noch als Taschenbuch, allerdings wohl nur bei Zweitausendeins. Die haben nach dem Konkurs von Haffmans das gesamte Programm übernommen. Sonst das Übliche - Amazon antiquarisch oder ZVAB.
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