letzte Kommentare / Das mit der "Querfront"... kristof / Ich hatte nach dem... chat atkins / Huhu, Herr Chat.... kristof | |
09
Juni
Denkakrobatik unter der Gelfrisur
"Wir brauchen Substanz", sagt unser frischgebackenes ökonomisches Genie aus dem tiefsten Bayern. Deswegen also jetzt Insolvenz für Karstadt, damit die Restsubstanz sich verflüchtigen kann - ein 'Projekt Guttenberg' gewissermaßen. Tscha, jetzt kann unser begnadeter Herr Freiherr mal zeigen, was seine Insolvenz-als-Chance-Theorie im Alltag so taugt ...
Mir geht's bei all dem eigentlich weniger um Arbeitsplätze, sondern um den Erhalt eines soziologischen Ortes - Innenstadt genannt. Kennt eigentlich jemand amerikanische Innenstädte, dort meist als 'Downtown' bezeichnet? Es sind de-kommerzialisierte Tot- und Rotlicht-Bezirke, wo sich nachts kein Polizist mehr hintraut, und nur die illegale Schattenwirtschaft floriert. Dolle Aussichten für uns, dank freiherrlicher Attitüde ...
flohbude
(link
)
Ehrlich gesagt finde ich die Aussage "Mir geht's bei all dem eigentlich weniger um Arbeitsplätze, sondern um den Erhalt eines soziologischen Ortes" schwierig.
Entweder verstehe ich Dein Grundanliegen falsch oder die sog. "Einkaufskultur" wird von Dir höher bewertet als der drohende soziale Abstieg von 56k Leuten.
chat atkins
(link
)
Naja, Innenstädte bestehen aus mehr als Hennes & Mauritz oder Schuhe Görtz. Meist sind es auch die historischen Zentren der Stadtkultur, das Herz der Stadt, wenn du so willst. Gilt gerade für die Mittelstädte. Steht nun ein Magnet wir Karstadt leer, machen auch viele andere Läden dicht. Leerstände wiederum schaffen das Plünnen-Ambiente, das auch die Touristen abschreckt, von denen wiederum Museen, Kunsthallen, Theater etc. leben. So zieht das Sterben eines kommerziellen Kolosses wie Karstadt auch das Ausbluten der urbanen Kultur nach sich, es werden letztlich noch viel mehr als nur 56k Leute arbeitslos. Karstadt ist soziologisch viel mehr als nur 'Einkaufskultur', betrachten wir diese Folgen - so ist mein Einwurf gemeint. Die Städte bestünden dann irgendwann nur noch aus Stadtrand und Flughafen, sie werden komplett 'suburbian', wie in den USA zu besichtigen ...
flohbude
(link
)
Zustimmung. Was mich irritierte war die Wichtung, die ich herausgelesen zu haben glaubte.
Warten wir mal den Lauf der Dinge ab. Ich denke, es wird weit weniger drastisch ablaufen; wahrscheinlich steigt irgendein potenter Chinese oder Russe oder Ölscheich ein, nimmt die Buden an sich und verhilft Angela M. unverhofft zu den noch nötigen Prozenten, um das Land an die nächste Wand zu steuern. Ebenfalls naja, denn ich gebe zu bedenken, daß als Bedrohung des Plattmachens kleiner Läden anfänglich die Kaufhäuser genannt wurden – und sicherlich zu recht, denn sie haben für reichlich Verdrängung gesorgt. Aber wir haben uns an die Kaufhäuser gewöhnt, und tatsächlich sind sie Anziehungspunkte geworden. Ich beispielsweise möchte sie nicht missen, die Alsterhäuser, die Kaufhäuser des Westens oder die Lafayettes mit ihren außergewöhnlichen Angeboten etwa in den Lebensmittelabteilungen, wo eben kein Kleinhändler hinreichen kann. Für sehr viel problematischer halte ich – und das dürfte entscheidend zum Niedergang der Kaufhauskultur beigetragen haben – die neue Version, über die ich mich dieser Tage geäußert habe: Shopping Center oder City oder Centrum oder wie auch immer diese Monstrositäten für reduzierte Geiste (nahezu ausnahmlos Mode und Tinnef) heißen mögen, die zudem den letzten Resten des Einzelhandels den Garaus machen, da sich der Kolonialwarenkramer solche Mieten nicht leisten kann und somit Weltkonzerne mit ihrem immergleichen Kram ihre Filialen dort hineinsetzen.
In den Kleinstädten oder den Randzonen der Großstädte haben sie sich die Karstädter allerdings selbst den Garaus gemacht, indem sie das Warenangebot auf Hauptsache billig nivelliert und die etwas anspruchsvollere Kundschaft in die Zentren der großen Städte gezwungen haben – wo sie mittlerweile von den für mich indiskutablen Shopping Centers in die Zange genommen wurden. Lebensmittel gibt's bald nur noch auf der grünen Wiese. Aber wer braucht die schon? Es gibt doch überall Burger und Döner, Pizza und Sushi.
chat atkins
(link
)
In der Regel stimmt das, was du sagst. Für Lebensmittel gibt's allerdings noch Wochenmärkte - legendär ist hier in Bremen zum Beispiel der 'Findorff-Markt', solche Käsestände suchst du selbst im KaDeWe vergebens. Und dass die Cities immer mehr zu Tinnef-Veranstaltungen werden, wie auch die Stadtrand-Shopping-Center, das gestehe ich dir gern zu. Wer aber soll solche Mieten auch bezahlen. Der überfällige Niedergang der Gewerbemieten in den Innenstädten dürfte noch die angenehmste Folge der Karstadt-Pleite sein.
Es gibt auch bei den Shopping-Centern -wenige - Ausnahmen. So hat sich hier auf einem Dorf namens Posthausen 'Dodenhof' etabliert, quasi ein Karstadt der alten Qualitätsstufe mitten im Moor. Wird aus hundert Kilometer Umkreis rege frequentiert ... Nochmal na ja, «Posthausen 'Dodenhof'» – aber das ist grüne Wiese. Das meinte ich – und meinten wir – wohl nicht, es ging um die Innenstädte. In Lübeck fährt auch alles raus in diesen riesigen City-Markt; dessen Vorbilder kenne ich aus Frankreich (das ja auch die Supermärkte aus den USA zunächst ins Land eingeführt und dann nach Europa ausgeführt hat). Auch die Wochenmärkte, sicher doch, aber eben nicht in den Innenstädten, jedenfalls nicht in der Regel. Na gut, Findorff in Bremen möglicherweise oder Fäkalien-Markt in München oder der in Hannover sicher. – Ich merke gerade, wie ich mich möglicherweise verzettle. Aber in Hamburg beispielsweise muß man wissen, in welchen Stadtteilen die jeweiligen Märkte, meist einmal wöchentlich, stattfinden. Im zentralen Bereich gibt sie's jedenfalls nicht. Und die Wochenmärkte in den (nord-)deutschen Kleinstädten – welche Tristesse, überwiegend landwirtschaftlich geprägter Regionen unwürdig. Aber das ist ein Thema für sich.
|