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09
Juni
Mit kurzen Sätzen nicht ans Ziel
Dass im Medienbereich jemand seine Grundsätze bei Fünfen gerade sein lässt, ist nicht außergewöhnlich. Des öfteren stehe ich vor Mittelständlern und erläutere den Zusammenhang von Textgestalt und Direct-Marketing-Erfolg. Die Deutsche Post als Auftraggeberin erhofft sich davon möglichst viele Mailings, ich Honorar und auch Neukunden, die Teilnehmer der Seminare träumen von ungehobenen Umsatzschätzen. Das Problem dabei heißt Vögele, der Siegfried Vögele. Deutschlands Direct-Marketing-Papst predigt - neben vielem Vernünftigen - unentwegt den "kurzen Satz", vor allem deshalb, weil er den eiligen Empfänger der Direct-Marketing-Ware als einen gehetzten, stets leicht entnervten und oft auch dusseligen Hund betrachtet, den man keinesfalls überfordern dürfe: "Maximal 30 Silben pro Satz" will er uns Schreibern gestatten. Da aber die Post bei ihren Aktivitäten auf den Heiligen Stuhl zu Königstein schwört, verkünde natürlich auch ich diese zweifelhafte Weisheit, die meiner Erfahrung widerspricht. Können nicht auch kurze Sätze den Leser aus der Kurve des anvisierten Kaufimpulses tragen? Zur Geschichte: Der übermäßig lange Satz entstammt bekanntlich dem Kanzleistil. Und er zählte zu den hohen Künsten. Juristen und Beamte rühmten sich, elfseitige Eheverträge in einem einzigen Satz formuliert zu haben. Dies ist ein gerichtliches Beispiel aus dem Jahre 1705, das ich bei Johannes Scherr fand, einem der großen Vergessenen deutschen Geschichtsschreibung, der hier einer Pietisten-Sekte nachsteigt, die das Evangelium der freien Liebe verkündete: "Unsers Gnädigen Grafen und Herrn, wir verordnete Richter und Schöppen des Hochgräflichen peinlichen Halßgerichts allhier zu Laasphe, thun dir, Justus Gottfried Winter von Eschwege, dir, Johann Georg Appenfeller von Schleusingen, dir Eva Margaretha, Jean de Vesias, Fürstlichen Eisenachischen Pagen-Hoffmeisters Eheweib, gebohrene von Buttlarin, und dir, Anna Sidonia von Kallenberg von Forstwesten aus Hessen bey Cassel hiermit zu wissen, wie daß hiesiger Hochgräfl. Fiscalis, Amts-Ankläger an einem, entgegen und wider euch allen, als peinlichen Beklagten am andern Theile, wegen beschuldigter Verspottung und Verletzung der Allerheiligsten Majestät und Dreyeinigkeit GOttes (gestalten, du Winter, dich vor [= für] Gott den Vater, du Appenfeller, dich vor GOtt den Sohn, und du Eva Margaretha, dich vor GOtt den heiligen Geist, vor das neue Jerusalem und unser aller Mutter ehren lassen, und ob solche 3. göttliche Personen von euch sichtbarlich aus- und eingingen, gotteslästerlich vorgegeben, und du Eva Margaretha, die Thür solches Aus- und Eingangs seyst, und daß eure Naturen dergestalt mit der Gottheit vereiniget, daß sie zusammen einen Gott und Christum macheten, dahero eure Naturen auch als göttlich müssten veneriret werden, und ihr unter diesem Schein und eurer eingebildeten Gottseligkeit und Frömmigkeit nicht anders als Hurerey, Ehebruch, Blut-Schande, große Gottes-Lästerungen, darunter auch Mord und andere grosse Uebelthaten, vor GOTT und der Welt ärgerliche, abscheuliche, grausame Laster, die man anhero zu setzen billig eine Scheu tragen muss, mit untergeloffen und gegen dich, Anna Sidonia von Kallenbergen, wegen absonderlich beschuldigtem infanticidii, darinn du Winter, und du Eva Margaretha von Buttlar, mit begriffenb, bei diesem Hochgräfl. peinlichen Halß-Gericht verschiedene artikulierte peinliche Amts-Anklagen übergeben, darauf littera affirmative contestiret, ihr zwar auch eure Responsiones darauf judicialiter abgeleget, und weiln ihr eines und das andere verneinet oder sinistre interpretieren wollen, Fiscalis zu eurer Ueberführung denominationem testium cum directorio übergeben und solche nunmehr eydlich und judicialiter prout moris et styli abzuhören gebeten, auch in hoc puncto sowohl von eurem defensore als Fiscali zu Bescheid gesetzt worden, nichtsdestoweniger aber ihr, aus Trieb und Ueberzeugung eures bösen Gewissens, noch vor Eröfnung dieses interlocuts flüchtig worden seyd, und ob man gleich dich Evam Margaretham von Buttlar annoch auf der Flucht ertappet, und du zu Biedenkopf im Hessen-Darmstädtischen auf Ersuchen vom dasigen Beamten arrestiret worden, du dennoch durch Verwechselung der Kleider denen Wächtern entkommen und zum zweytenmahl dich davon und aus dem Staube gemacht, deswegen Fiscalis eine Eductal-Citation gegen euch allen zu erkennen, terminum ad comparendum zu prachgiren und die Citation an öffentliche Orte öffentlich anschlagen zu lassen gebeten hat". Wahrlich - das sind viele Worte für die Verkündung, daß die Justiz ersatzweise Steckbriefe statt der Entflohenen aufzuhängen gedenkt. Und ein grandioses Dokument barocken Sprachwollens in einer einzigen Satz-Girlande. Der überlange Satz also ist ein Kind des entstehenden neuzeitlichen Staatswesens - und wer nicht glauben will, daß solche Formulierungen zu den Künsten zu zählen sind, der möge sich selbst an einem solchen Gallimathias versuchen. Nebenbei: Bei einem doch recht beachtlichen Stilisten wie Heinrich von Kleist sind die Nachwehen dieses repräsentativen Satzbauwesens noch deutlich zu spüren. Ist aber der kurze Satz besser? In der Literatur finden wir diesen Stil dort, wo das Militärische abgefeiert wird, bei Ernst von Wildenbruch zum Beispiel. Der herausgebellte Kommandostil galt einige Jahre als höchst modern, in der deutschen Kaiserzeit waren die Trompetenstöße und der Telegrammstil wilhelminischer Phrasendrescher allgegenwärtig: "Ein Miesmacher, sag ich. Soll sich gefälligst nicht so anstellen!" Selbst ein Germanist wie Wilhelm Scherer schreibt über Wallenstein ganz im Sinne Vögeles: "Rasch hob ihn der Krieg empor. Der Kaiser liebte ihn, vertraute ihm. Was er anfing, geriet. Aber furchtbare Dinge geschahen im kaiserlichen Dienst. Wallenstein wurde die Geißel der Länder. Tausend Flüche lud er auf sein Haupt. In ganz Deutschland hatte er keinen Freund." Stilistisch ist das Hackfleisch, mit dem Beil getextet, formlos, gestaltlos und kurzatmig wie ein Koma-Patient. Jede Musikalität ist glücklich der Sprache ausgetrieben worden. Und damit - auf die Werbung übertragen - will ein Vögele Kunden gewinnen? Wilhelm Scherer jedenfalls hat sich mit seiner Attitüde das Grab gegraben - nur die Spezialisten kennen seinen Namen. Für mich liegt die Wahrheit stilistisch eher in der Mitte: Wer schreibt, soll den Leser nicht überfordern - aber auch nicht unterfordern. Klar strukturierte Texte, wohl versehen mit starken Verben, die Perioden hauptsatzorientiert und mit anschaulichen Bildern - so erzeugen wir Sätze, die bei allen Verständnis finden, obwohl sie sich durch zwei oder drei Zeilen schlingen. Das wiederum würde ich auf diesen Seminaren aber nur als ketzerische Minderheitsmeinung verkünden. Sonst würde man mir den Vögele zeigen ...
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