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29
Juni
Ein guter antisemitischer Roman?
Ja, so etwas gibt es - Literatur und Moral sind schließlich keine Geschwister. Ich meine damit auch nicht die üblichen Verdächtigen - weder Gustav Freytags 'Soll und Haben' noch Wilhelm Raabes 'Hungerpastor'. Ich rede von Heinrich Mann und seinem Debutroman 'Im Schlaraffenland'. Ein zugewanderter galizischer 'Landstreicher aus dem Wilden Osten', der Jude James L. Türkheimer, beherrscht darin mit seinem Börsengeld die gesamte Kunst- und Journalistenszene Berlins um 1890. Heinrich Mann nimmt insbesondere die ästhetischen Konsequenzen aufs Korn: Entscheidend ist in dieser Welt nicht mehr der Rang eines Kunstwerks, sondern vielmehr, wer mit wem schläft. Im Zentrum steht eine parodierte Aufführung von Gerhard Hauptmanns 'Die Weber', ein Stück, das dort unter dem Titel 'Rache' mit seiner Abschlachtung der Bourgeoisie durch vertierte Proletarier dem Nervenkitzel dieser affektierten Bourgeois-Blase dient.



Es ist ein Schlüsselroman jüdischen Gesellschaftslebens in jeder Hinsicht: die Ullstein'schen und Mosse'schen Schreiberlinge werden aufs Korn genommen, Kerr hoppelt durchs Bild, Theodor Herzl, der Vater des Zionismus, dienert als 'Anwalt Liebling' durch die Salons, Heinrich Mann selbst tritt als einzig 'wirklicher Künstler', als Schriftsteller Friedrich Köpf, in Erscheinung, der eine 'Sonde' in Person des Provinzlers Andreas Zumsee in Türkheimers Dunstkreis platziert, indem er ihn mit Madame Türkheimer verkuppelt. Das Personal der Salons heißt 'Schmeerbauch', 'Kaflisch', 'Goldherz', 'Süß', 'Jekuser' oder 'Bediener'. Zumsees Aufstieg zum 'Dramatiker' ist durch seine Liaison unaufhaltsam, weil alles, was feuilletonistisch jubeln kann, das Spiel für den Erwerb von Vorzugsaktien mitspielt. Zum Schluss wird Zumsee wieder rausgekegelt, weil er Frau Türkheimer mit Türkheimers Geliebter betrügt.

Das 'System Türkheimer' aber bleibt bestehen. Wie ein Renaissancefürst setzt der Börsenspekulant nach einer gigantischen Finanzspekulation mit 'texanischen Gold Mounts' dem besiegten Berlin den Fuß in den Nacken. Ach so - selbst die beliebte Arbeiterbewegung spielt im Roman keine revolutionäre Rolle mehr, der Sozialdemokrat Matzke verkuppelt vielmehr höchstselbst seine minderjährige Tochter an James Türkheimer um 'auf Jummirädern fahrn' zu können. Und der verarmte preußische Adel - 'müde Rasse' - gibt seinen Namen her für profitable Heiratschancen im jüdischen Milieu.

Kurzum: Wenn das kein Antisemitismus ist, dann weiß ich auch nicht. Heinrich Mann hatte kurz zuvor auch für die Zeitschrift 'Das 20. Jahrhundert' - und darin unter Titeln wie 'Jüdischen Glaubens' - antisemitische Pamphlet-Artikel verfasst, die den Texten eines Dühring oder Marr in nichts nachstehen. Was Manns Antisemitismus hier allenfalls erträglich macht, ist, dass in diesem Buch ausnahmslos alle ihr Fett wegbekommen, niemand ist mehr 'Hoffnungsträger', schon gar nicht der betrogene 'arische Bürger', das sind nationale Kollerfiguren, die Heinrich Mann als 'anständige Spekulanten' verhöhnt, die nur darum 'anders' zu sehen sind, weil es bei ihnen zum großen Coup nicht reicht. Eigentlich bleibt nur Friedrich Köpf unbesudelt, eine typische Ästhetenposition also: Heinrich Mann sucht Asyl auf dem Parnass.

Unter literarischem Gesichtspunkt ist das Buch rasant geschrieben, stellenweise urkomisch und das Personal lebt - Heinrich Mann ist eben nicht irgendwer. Die blöden Nazis haben dies Buch 1933 auch noch verboten - das nennt sich dann wohl vollends 'Ironie der Geschichte'. Während die Sozialisten der DDR es kommentarlos immer wieder aufgelegt haben, weil es ja unter anderem auch gegen den Kapitalismus geht ...

Der Text findet sich, unwesentlich verändert, auch in meinem Wörterblog.

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