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20
September
Bitte etwas weniger Charisma
Mit ein paar Millionen Treffern bei Google ist das Wort «Charisma» der totgerittenste Zossen im Stall deutscher Unternehmensberater. Das Angebot verspricht uns Instant-Charisma in 30 Minuten - und aus der Werbung dafür brabbelt es uns so entgegen:

"Erfolgreich sind in der Regel Persönlichkeiten mit Charisma. Sie sind in der Lage, die bewussten und unbewussten Signale des Körpers, d.h. die Körpersprache überzeugend und authentisch einzusetzen. Neben der Körpersprache ist die Stimme ein wichtiges Transportmedium der Persönlichkeit und ein wichtiger Schlüssel dazu, die Kommunikation im interaktiven Kontext zu meistern. Inzwischen gilt das komplexe Zusammenspiel zwischen Körpersprache und Stimme nach einer Havard-Studie sogar als "Nr. 1-Kriterium" des beruflichen Aufstiegs."

"Havard" ist gut - und ich zweifle sogar, dass das ein Tippfehler ist. Im Anschluss an einen solchen Kursus jedenfalls käme der trockenste Chef sprühend vor Charisma zurück, die Angestellten - sorry: sein Team - in der heimischen Konfektionierungs-Klitsche sagt «Boah!» und folgt jeder Anweisung blind als wäre der Mann jetzt der Rattenfänger von Hameln.


Nur eins von zahllosen Plapperlapapp-Portalen

So weit die «Theorie». Wirkliche Theorie sieht die Dinge etwas anders:

Denn in Wahrheit hat «Charisma» mit einem Volkshochschulkursus in Körpersprache und Rhetorik herzlich wenig zu tun. Der berühmteste Forscher auf dem Gebiet, Max Weber, der den Begriff erst in die Wissenschaft einführte, schreibt übers "Charisma", dass daran die Fähigkeit des Führers in visionäre "Ekstase" zu geraten zentral sei, dass Charisma sich durch "Askese" vielleicht wecken ließe, dass es aber strikt eine naturgegebene Fähigkeit an der Grenze zum Religiösen sei: "Die Vermittlung bildet die Ausnahme; dass die charismatischen Fähigkeiten zwar in nichts und Niemandem entwickelt werden können, der sie nicht im Keime hat, daß aber dieser Keim verborgen bleibt, wenn man ihn nicht zur Entwicklung bringt" (WuG, 317f). Aus einem vertrockneten Hering als Chef wird also niemals ein Marktführerschafts-Mussolini. Und das Charismatikertum ist nie bloß eine angelernte Show aus noch so teuren Unternehmensberaterseminaren.

Gefährlich ist reales Charisma obendrein, denn der charismatische Führer gewinnt die Masse durch Lüge, "durch Demagogie". Insofern ist dieser Klinikchef hier sicherlich charismatisch angehaucht, auch ein Hitler war ohne Zweifel ein echter Charismatiker, oder auch ein Luther - aber doch nicht Hänschen Müller, Geschäftsführer der "Rohre - Flansche - Fittings GmbH"! Der sollte sein Geld lieber für ein gutes Psycho-Training anlegen: «Selbstbewusstsein für Anfänger» oder etwas ähnliches.

Die Unternehmensberater aber sollten aufhören, einen Begriff zu okkupieren, dessen Versprechen sie nicht einlösen können - und korrekterweise lieber Kommunikationstraining und Mimik- und Gestik-Seminare anbieten. Denn auf Schauspielkurse läuft ihr Gelaber um den Modebegriff «Charisma» ja hinaus, von dessen notwendigen Inhalten sie bisher allenfalls die demagogische Lüge beherrschen.


Max Weber:
Er hasste den Operettenkaiser Wilhelm II., weil der den großen Charismatiker spielte, ohne Charisma zu besitzen.

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Erinnert mich irgendwie an "Schamanen-Kurse"
die eine zeitlang in Esoteriker-Kreisen "in" waren. Natürlich wird man dadurch kein Schamane - denn ein Schamane hat ein einer Stammesgesellschaft eine klar umrissene soziale Funktion. Und ebenso natürlich erwirbt man dadurch keine schamanischen Fähigkeiten - die bringt ein echter Schamane ja mit, sonst würde er gar nicht von einen erfahrenen Schamanen initiert und geschult werden. Erst recht unbeantwortet bleibt die Frage, wozu man im normalen Alltag einer industriellen bis post-industriellen Gesellschaft schamanischen Fähigkeiten braucht. (Ich wüßte für mich eine Antwort, aber die gilt nur für mich.)

Aber es ist natürlich unfair, hochmotivierte Führungkräfte mit weltfremden Eso-Freaks gleichzusetzen ...
 
Ob diese "natürlichen Schamanen" in unseren Gesellschaften eher nützlich oder eher schädlich sind, darüber lässt sich stundenlang streiten. Sie tauchen aber immer wieder mal auf. Chomeini bspw. war in jüngerer Zeit ein solcher Charismatiker, Ahmedinedschad ist (glücklicherweise) keiner.

Fakt aber ist, dass es diese Figuren alle Jubeljahre gibt - die Napoleons, die Lenins, die Rommels, auch die Borgwards oder Ballins. Ihre spezielle Fähigkeit, Menschen zu binden, ist naturgegeben, eine "Gnade", jedoch nichts, was sich auf Seminaren lernen ließe. An dem skandalösen Satz, den dieser NPD-Spitzenkandidat Pastöhrs öffentlich sagte, dass "ein Hitler leider nur alle 1.000 Jahre geboren wird", an dem ist ja nur das Wörtchen "leider" falsch, das schlicht durch "glücklicherweise" ersetzt werden müsste. Denn Charisma sans phrase ist noch nichts Wünschenswertes, das Wozu entscheidet ...

Bloß, weil sich jemand CEO nennen darf, schon zu glauben, dass in ihm irgendwo unentdecktes Charisma schlummern müsse, ist dagegen ein satirewürdige Vorstellung: "Wenn einer, der mit Mühe kaum, gekrochen ist auf einen Baum, schon meint, dass er ein Vogel wär, dann irrt sich der ..."
 
Nein, mein Vergleich bezog sich eher darauf, dass sowohl im Schamenkurs wie im Charisma-Kurs etwas unterrichtet wird, was sich nicht unterrichten läßt - es ist etwa so, als würde der Anbieter einen Malkurses versprechen würde, man könne im Kurs nicht etwa lernen, wie man Bilder malt, sondern der Kurs würde einem "künstlerisches Talent" verschaffen, und zwar innerhalb weniger Lektionen, nicht etwa im Laufe eines jahrelangen Erfahrungsprozesses.
Ein Schamane kann Charisma haben, es ist aber in den meisten Gesellschaften keine "Berufsvoraussetzung". Für Schmanen ist die Fähigkeit zur kontrollierten Trance entscheidend - auch etwas was man nicht in der Schule oder gar im Wochenend-Seminar lernen kann. Und auch die Schamanen-Fähigkeit ist an sich nichts sozial wünschenswertes, es kommt hier auf das "wozu" an.
 
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Den Kurs würden sie auch anbieten, wenn denn jemand käme.

;-)
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