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31
August
Noch eins für die Herre-Menschen
Ich lese gerade den Reisebericht des Grafen Artur Gobineau, der in den Jahren 1856 - 1858 die arabische Welt bereiste. Unter anderen fand ich dort die folgende Stelle, die das Leben der muslimischen Bevölkerung in Alexandria schildert:

"Ein Mann aus dem Volke kaufte bei einem der umherziehenden fahrenden Händler Süßigkeiten. Seine Frau erteilte ihm den Befehl, mit ihr zu gehen und nach Hause zu kommen. Und als er Einwendungen machte, drückte sie ihm das Kind in den Arm und trieb ihn vor sich her, wobei sie zu ihren lebhaften Scheltworten noch deutlichere Tätlichkeiten hinzufügte. Andere Frauen zollten mit lautem Geschrei Beifall. Die Männer verhielten sich neutral, und es schien mir sogar, als ob sich in der Miene des einen oder anderen ein Ausdruck hoher Achtung vor dieser Tatkraft erkennen ließ, die sich nicht gegen sie richtete. Das war die erste Belehrung über die Stellung der Frau in Asien." (S. 8 f)


Geschichte widerlegt gern Vorurteile

Da scheint mir doch, dass Schleier, Burka-Mode und Unterdrückung der Frau auch unter Muslims keine ewigen Konstanten seien, die dieser Religion eingeboren wären, wie es die Herre-Menschen allzu gern herauszutröten pflegen, sondern es sind wohl eher historische Errungenschaften neueren, geradezu modernen Datums in der arabischen Welt.

Anders ausgedrückt: Die Welt der Tradition, die der Wahhabismus und andere "Fundamentalsekten" so farbenprächtig beschwören, ist nur eine moderne Erfindung begabter Märchenerzähler. Und die Dschungs von Politisch Inkorrekt gehören zum gleichen Stamm, vor allem aber sind sie mindestens genauso "inkorrekt" ...

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auch.
Du brauchst ja nur Koran und Bibel gegenüber stellen. Ist die Frau in der Bibel irgendwo zwischen dem Vieh untergebracht, regelt der Koran ihre Rechte zB. bei Scheidung und Tod es Ehemann. (Nur mal so nebenbei, aus der Welt vor hunderten von Jahren, die aber zur Grundlage der jetztigen wurde. Leider.)

Btw. Kannst du mir sagen wo politischinkompetent geblieben ist? Ich suche seit Tagen finde aber keinen Link mehr, ganz abgesehen vom Blog.
 
Politischinkompetent ist ohne Abschied aus dem Netz gegangen. Hat mich auch gewundert. War's Frust?
 
Es gibt keine ewigen Konstanten
@Die Welt der Tradition, die der Wahhabismus und andere "Fundamentalsekten" so farbenprächtig beschwören, ist nur eine moderne Erfindung begabter Märchenerzähler.

Andere sprechen hier von Neo-Islam, um klarzumachen, wie weit diese modernen Islamausprägungen vom traditionellen ("klassischen", "vormodernen", etc.etc.) Islam entfernt sind.

Aber es läßt sich nicht nur an der Rolle der Frau zeigen, daß die Religion keine "ewigen Konstanten" hat, wie du richtig schreibst. Ebenso wichtig, oder doch fast noch wichtiger, ist die Rolle von Humor und Selbstironie, die eine Religion in ihrer Sinnwelt zuläßt, fördert oder sogar hervorruft.

Heutigentags scheint es ja den meisten Betrachtern, als sei der gegenwärtige Islam völlig humorlos und zu ironischer Selbstbetrachtung unfähig. Dies ist auch oft der Fall.

So wird etwa die heutige Rede von "Islamofaschismus" mit der Begründung gerechtfertigt, der gegenwärtige Islam sei nicht nur totalitär, sondern vor allem "a religion without irony" (So Roger Scruton in 'Islamofascism'
Beware of a religion without irony
).

Obwohl ich die Rede vom "Islamofaschismus" nicht teile, hat Scruton hier nicht ganz unrecht. Und am Ende seines Beitrags schreibt er:
"The way forward, it seems to me, is to encourage the re-emergence of an ironical Islam (...). We should also encourage those ethnic and religious jokes which did so much to defuse tension in the days before political correctness. And maybe, one day, the rigid face of some puritanical mullah will crack open in a hesitant smile, and negotiations can at last begin".

Da hat er, finde ich, recht. Es gehört eben nicht zu den ewigen Konstanten, daß der Islam humorlos oder frei von Ironie sei. Die ganze arabische Literatur bis ins 19. Jahrhundert ist voll von Beispielen für Humor und Ironie. Für beides möchte ich ein Beispiel aus alten arabischen Schriften zitieren:

(1) Im Januar 1105 starb in Bagdad Muhammad ibn Ali, auch bekannt als Ibn-Abi-s-Saqr, im Alter von fast 90 Jahren. Von Beruf Rechtsgelehrter, war er von Berufung ein Dichter. Zeit seines Lebens widmete er sich deshalb der Poesie mehr als der Juristerei, und seine Gedichte wurden weithin gerühmt. Als er alt geworden war, verfaßte er die folgenden Verse:

Ibn-Abi-s-Saqr hat meditiert und spricht nun, da ihn das Alter ziert:
Bei Gott, wäre nicht die Blasenfülle, die mich verbrennt bei Morgenhelle,
Dann hätt’ ich längst verdrängt, daß zwischen meinen Schenkeln ein Penis hängt!


(Quelle: Abu-l-Fida, Mukhtasar, zum Jahr 498 H)

(2) Im Jahr 933 trat in Isfahan ein Mann als Prophet auf. Da er Aufsehen erregte, lud man ihn vor und begann seine Befragung wie folgt: "Wer bist du?" Der Mann gab zur Antwort: "Ich bin ein von Gott gesandter Prophet."
Die Anwesenden waren entsetzt und beschimpften ihn, bis einer sprach: "Jeder Prophet kann doch ein Wunderzeichen vorweisen, was also ist dein Wunderzeichen und der Beweis für deine Sendung?" Der Mann erwiderte, er habe einen Beweis, wie ihn vor ihm noch keiner der Gottgesandten und Propheten vorzuzeigen imstande gewesen sei.
Aufgefordert, diesen Beweis zu präsentieren, sagte der Mann: "Mein Beweis ist, daß ich die hübsche Frau, schöne Tochter oder reizende Schwester eines jeden von euch innerhalb einer Stunde schwängern kann!"
Da sprach einer der Gelehrten: „Was mich angeht, so bezeuge ich, daß du wahrlich ein Gesandter bist!", und ein anderer rief: "Frauen haben wir keine, aber ich besitze eine schöne Ziege, die du mir schwängern könntest!"
Daraufhin erhob sich der Mann und machte Anstalten hinauszugehen, doch man ließ ihn nicht gehen ohne zu fragen, wohin er nun wolle. Der Mann antwortete: "Ich gehe zum Engel Gabriel und teile ihm mit, daß die Leute hier einen Ziegenbock, aber keinen Propheten brauchen!"
Da lachten alle, und man ließ ihn gehen.

(Quelle: as-Safadi, al-Wâfî VI, 385 f.)
 
Yep, wenn die Kopfhänger und «Pietisten aller Konfessionen» eine Religion usurpieren, ganz egal welche, dann begehen sie immer eine Blasphemie: Denn jeder Gott, der etwas taugt, der lacht auch gern. Und jede Religion, in der gelacht wird, ist die richtige.
 
1000 und 1 Nacht
Ihr braucht Euch nur die Geschichten aus tausend und einer Nacht durchzulesen, möglichst in der ersten deutschen Übersetzung von 1830 (??); darin ist die Rolle der muslimischen Frau schon ein klein wenig anders geschildert, als so manche Fanatiker uns heute klar machen wollen. Sie deckt sich eher mit Chats Zitat.
 
Nochmal 1001 Nacht
@in der ersten deutschen Übersetzung von 1830 (??)

Die erste deutsche Gesamtübersetzung erschien bereits 1711 in Leipzig. Taugt aber nicht viel, wie auch die weiteren im 18. und 19. entstandenen (einschließlich Weil).
Die einzige Gesamtübersetzung, die heute heranzuziehen ist, ist jedenfalls die geniale Nachdichtung von Enno Littmann (6 Bände im Insel Verlag, 1953 / 1976 und Nachdrucke).

Der Text von 1001 Nacht ist aber gar kein so gutes Beispiel, um etwas über die islamische Kultur auszusagen. Gründe:

(a) Bis heute sind die original arabischen Texte noch im wesentlichen unediert, alle Übersetzungen gehen von Textfassungen aus, deren Geschichte, Herkunft und Alter ungeklärt und literarhistorisch dubios sind. Es gibt allerdings seit kurzem eine deutsche Übersetzung einer besser bezeugten volkssprachlichen Überlieferung des Textes: Tausendundeine Nacht. Nach der ältesten arabischen Handschrift in der Ausgabe von Muhsin Mahdi erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott, München: Beck 2005.

(b) 1001 Nacht war in der islamischen Welt ein so gut wie unbekannter, jedenfalls ziemlich untypischer und relativ wirkungsloser Text. Bekannheit erlangten die Geschichten nur, weil sie so früh in Eruopa bekannt wurden.

@Rolle der muslimischen Frau

Gute Arbeiten, in denen die Rolle der Frau im "vormodernen" Islam behandelt wird, sind:

Women in the Medieval Islamic World. Power, Patronage, and Piety, ed. G.R.G. Hambly, New York 1998 (The New Middle Ages 6)

Writing the Feminine: Women in Arab Sources, edd. Manuela Marín / R. Deguilhem, London – New York 2002

Verse and the Fair Sex. Studies in Arabic Poetry and in the representation of women in Arabic literature, ed. Frederick de Jong, Utrecht 1993

Abbott, Nabia: Two Queens of Baghdad: Mother and Wife of Harun al-Rashid, Chicago 1946

Abd al-Raziq, A.: La Femme au temps des Mamelouks en Égypte, Kairo 1973

Beinhauer-Köhler, Bärbel: Fatima bint Muhammad. Metamorphosen einer frühislamischen Frauengestalt, Wiesbaden 2002

Gil'adi, A.: Infants, Parents and Wet Nurses: Medieval Islamic Views on Breastfeeding and their Social Implications, Leiden 1999 (Islamic History and Civilization. Studies and Texts 25)

Kruk, Remke: "Warrior Women in Arabic Popular Romance", in: Journal of Arabic Literature 24 (1993), 213–30; 25 (1994), 16–33

Musallam, B.F.: Sex and Society in Islam. Birth Control before the Nineteenth Century, 1983

Schatzmiller, Maya: "Aspects of Women’s Participation in the Economic Life of Later Medieval Islam: Occupations and Mentalities", in: Arabica 35 (1988), 36–58

Smith, Margaret: Rabi'a the Mystic and her Fellow-Saints in Islam, Cambridge 1928

Weisweiler, Max: Arabesken der Liebe. Früharabische Geschichten von Liebe und Frauen, Leiden 1954

Interessant zum Obigen auch:

Roald, Anne Sofie: Women in Islam: The Western Experience, London 2001
 
Die Littmann-Ausgabe gefällt mir wegen ihres unnachahmlichen Märchentones am besten:

 
Noch ein Nachtrag zum Thema "Wahrnehmung der Frau in muslimischen Gesellschaften:

Jedlitschka, Anja: Weibliche Emanzipation in Orient und Okzident. Von der Unmöglichkeit, die Andere zu befreien,
2004.

Lutz, Helma: „Unsichtbare Schatten? Die orientalische Frau in westlichen Diskursen – zur Konzeptualisierung einer Opferfigur“, in: Peripherie 37 (1989), 51-65

Interessant auch:

Künzler, Eva: Zum westlichen Frauenbild von Musliminnen, 1993. (2. unveränderte Auflage)
 
gobineau, war das nicht der, der den rassismus wenn nicht erfunden, dann doch erheblich gemehrt hat?

hier stehts: "... Dessen [Gobineaus] essai sur l´inegalite des races humaines, der von 1853 bis 1855 in vier Bänden erschien, lehrt als erster die Überlegenheit der arischen Rasse, den höchsten und eigentlich alleinigen Menschenrang des unvermischten Germanentums, und seine Bedrohtheit durch das überall eindringende ungleich schlechtere, kaum noch menschlich zu nennende semitische Blut. Hier ist alles gegeben, was das Dritte Reich zu seiner philosophischen Begründung und für seien Politik braucht; alles spätere vornazistische Ausbauen und Anwenden der Lehre geht immer wieder auf diesen einen Gobineau zurück, er allein ist oder scheint - ich lasse es noch offen - der verantwortliche Urheber der blutigen Doktrin."
nämlich bei Victor Klemperer. LTI, 10. A., Leipzig, 1990, S. 144 f

Überhaupt, Klemperer, LTI, meine uneingeschränkte Leseempfehlung.
Gibts immer noch bei Reclam, Leipzig; 19. Aufl. (August 2005) ISBN: 3379001252
 
Yep, Gobineau ist jener welcher - seine Rassekategorien wechselten jedoch, je nachdem, welches Volk ihm als letztes die gräfliche Atmosphäre mit seinen Ausdünstungen trübte. In dem genannten Buch hat er's mit den "Laskaren" (?), irgendein indischer Stamm, die er da für die letzte Station kurz vor dem Tierreich hält, gleich davor kommen für ihn die (christlichen) Kopten. Der Herr Übermensch beobachtet und notiert seine Vorurteile. Auffällig ist es, dass dem Herrn Grafen immer die "Muschiks" und "Dienstboten" der jeweiligen Gesellschaften am meisten Ekel verursachen. Im Prinzip widerstreben ihm aber alle, die nicht französisch und mindestens von Adel sind. Der Herr ist ein Snob, der genau aus diesem Grunde auch die Hitlerbewegung zutiefst verachtet hätte.

Ich lese das Buch, weil es eine der frühesten Reisebeschreibungen von Bord eines Dampfschiffs ist. Ich benötige solches Belegmaterial für eine historische Artikelserie, die mir quartalsweise blüht.

Von dem Gobineau wurde im Wilhelminismus "Die Renaissance" besonders viel gelesen, wo er die moralische Unbedenklichkeit der Borgias etc. abfeiert. Er ist also ein Zeitgenosse Nietzsches und Burckhardts viel eher, als ein vorverlegter Hitlerianer. Judenfeindschaft war damals eben hip, modern und großbürgerlich, man wusste noch nichts von Konzentrationslagern, selbst ein Heinrich Mann lag voll und ganz auf dieser Linie (lies mal "Im Schlaraffenland"), zu der auch Treitschke, Dühring, Lagarde, Wagner, Max Weber oder auch Karl Marx zu rechnen wären. Denn auch der letzte hinterließ bösestes antisemitisches Gewäsch. Der Hitler aber, der schiss damals noch nicht einmal in die Windeln.

Das Ganze also gehört eher in eine lange Reihe von Topoi historischer Judenfeindschaft, die schon mit dem Heiligen Johannes beginnt: "Solche Tiere wie die Juden aber, die zur Arbeit unnütz sind, sind reif zur Schlachtung". Kommentar: "Streicher verblasst fast neben diesem Prediger von Gottes Gnaden", schreibt Karlheinz Deschner (I, 134). Der Apostel Johannes wäre in dem Sinne auch bloß so'n Glied in der Kette ...
 
klemperer zieht die linie gobineau - chamberlain - rosenberg - hitler ziemlich gerade durch.

laskaren (engl.: lascars) waren seeleute ostindischer herkunft, die auf englische handelsschiffen angemustert hatten.
hier: http://www.lascars.co.uk/
 
Andere ziehen eine Linie von Wagner, Freytag, Fontane, Raabe, Frenssen, Mann, Münchhausen, Kolbenheyer bis hin zu Grimm und Zöberlein. Das ist genauso sinn- oder unsinnvoll. Alles nur, weil jemand von einem Späteren gelesen wurde? Es ist ein Konnex wie bei den Computerspielen: Erst hat er Counterstrike gespielt, und dann die ganze Schule ausgelöscht. Erst hat er Nietzsche gelesen - und dann hat er Zyklon B in die Gaskammer geschmissen.

Hitler selbst bezog seinen Kleinbürger-Antisemitismus wohl weniger von Gobineau sondern mehr von Marr, Lueger und all diesen Wiener und Münchner Dreigroschen-Antisemiten. Feuchtwanger gibt in "Erfolg" eine ganz gute Schilderung dieses nach Sauerkohl duftenden Milieus.

Der Klemperer hat natürlich im und nach dem Krieg eine Opfer-Perspektive ausgebildet - was auch sonst? - die das, was ihm geschah, im Rückblick überall vorgeprägt sah. Wie Schuppen war es ihm jetzt von den Augen gefallen, er war ein durchs eigene grauenvolle Erlebnis Erweckter. Das ist einerseits verständlich, andererseits aber auch wenig wissenschaftlich.

Dolf Sternberger hat mit seinem "Wörterbuch des Unmenschen" übrigens mal etwas ähnliches unternommen wir der Klemperer mit seiner Lingua tertiae. Dem waren alle Verben mit be- beispielsweise auf einmal faschistisch, überhaupt der Gebrauch des Akkusativ in dieser Kombination. Sagte man - laut Sternberger - zuvor mit Dativ "jemandem treu sein", so wäre dann im Faschismus das Unwort "jemanden betreuen" aufgekommen - und mithin wäre dieser Sprachgebrauch nationalsozialistisch. Obwohl es blanker Bullshit ist: Wer hätte jemals gesagt: "Ich betreue meine Frau" anstelle von "Ich bin meiner Frau treu".

Für mich gehört das zu jenem Konglomerat einer altkäsigen Kulturkritik, die im Unbeweisbaren vor sich hin deliriert. Glücklicherweise musste Sternberger ja nie belegen, dass vor dem Faschismus das Wort "jdn. betreuen" nicht existiert habe, und wenn, hätte er's vermutlich schlicht prä-faschistisch genannt - oder so etwas. Und das "betreute Wohnen" unserer heutigen Sozialpädagogen wäre ihm wohl noch immer faschistisch.

So etwas sind für mich immer bloß kulturkritische Spielchen mit Karnickel und Hut und sprachkritisch durchgesägten Jungfrauen. Die wirklichen Nazi-Dichter die erkennt man an ganz anderen Stilmerkmalen ...
 
trotzdem bleibe ich bei meinen empfehlungen, ruhig mal klemperers lti zu lesen, die tagebücher gibts ja auch noch, und mal so nebenbei die lascar-homepage anzusurfen.


"Die wirklichen Nazi-Dichter die erkennt man an ganz anderen Stilmerkmalen ..."
hier bitte ich, wenn das möglich wäre, um vertiefung.
etwa in die richtung wer, wie und wie lange.
 
Au, Mann, hier muss man aber ran:

Typisch für die nationalvölkischen und Nazi-Dichter war beispielsweise die strikte Trennung zwischen dem "Schriftsteller" und dem "Dichter". Sie - die Blunck, Münchhausen, Vesper, Grimm, Schäfer und Co. - waren selbstverfreilich dabei zu den "Dichtern" zu zählen. Sie betrieben kein Handwerk, sie waren "Seher", "Priester", "schöpften" aus der "Tiefe" vor allem aber aus dem "Volkstum" und sie "raunten" eher als dass sie sprachen. Die Sprache klingt uns Heutigen nur noch komisch und maniriert - "Tagewerk", "Bekenntnis", "Nöte", "Durchdrungensein", "geistiger Mensch" - das sind so einige von diesen Talmi-Vokabeln. Ihre Gestalten - das waren oft "Bauern in Nibelungenstiefeln", z. B. bei Frenssen, Beumelburg, Kolbenheyer oder Stehr. Oder aber heimkehrende Frontsoldaten, denen das "Kriegserlebnis" die Augen geöffnet hatte für den "Schicksalskampf" der Nation. Zu letzteren zählen bspw. Autoren wie Schauwecker, Johst, Salomon, Dwinger oder Zöberlein. Dass selbst Goebbels dieses literarisch mediokre Pack zutiefst verachtet hat, steht dabei auf einem anderen Blatt unter der Überschrift "Dumm gelaufen!".

Ein informatives Buch über diese nationalkonservative Szene, die in der Deutschen Akademie für Dichtkunst vor sich in duftete, hat der Werner Mittenzwei geschrieben: Die Mentalität des ewigen Deutschen - oder so ähnlich.
 
danke für die hinweise.

zwischen dichtern und schriftstellern unterscheide ich auch zuweilen. manchmal spreche ich aber auch nur von text und meine damit so ziemlich alles, was man mit worten machen kann.


Blunck, Hans Friedrich, (1888 - 1966).
so schön kanns nur die wikipedia: "Zwischen 1920 und 1940 veröffentlichte er zahlreiche Romane und Erzählungen, die heute als geistige Wegbereitung des Nationalsozialismus angesehen werden" und war neben johst auch ein hoher ns-kulturfunktionär

Münchhausen, Börries v., (1874 - 1945)
balladendichter, noch in den siebziger jahren des vorigen jahhunderts in lesebüchern anzutrefffen.

Vesper, Will; (1882 - 1962)
der war wohl nazi und blieb das auch. sehr aufschlußreich das buch die reise seines sohnes bernward vesper (1938-1971). der wiederum war der geliebte von gudrun ensslin, beide verfolgten eine zeitlang auch das projekt, die gesammelten werke von w vesper herauszugeben...

Grimm, Hans; (1875 - 1959)
ja, genau, das war doch der mit dem volk ohne raum. und bei tucholsky hiess es einmal: Burte & Grimm, Löschpapier en gros.

Schäfer - mir nicht geläufig

"... sie waren "Seher", "Priester", "schöpften" aus der "Tiefe" vor allem aber aus dem "Volkstum" und sie "raunten" eher als dass sie sprachen. Die Sprache klingt uns Heutigen nur noch komisch und maniriert - Tagewerk, Bekenntnis, Nöte, Durchdrungensein, geistiger Mensch - das sind so einige von diesen Talmi-Vokabeln."
täusche ich mich, oder war das noch lange zeit der stil der feuilletons in mehr bürgerlichen zeitungen, nun gut, das mit dem volkstum hatte sich erledigt, aber der sonstige tiefenschwumpf und -schwurbel war schon noch da.

Frenssen, Gustav; (1863 - 1945)
von haus aus pastor, später schriftsteller und schon zu kaisers und weimarer zeit erfolgreich, später bekenntnis zum ns

Beumelburg, Werber; (1899-1963)
der hatte es auch mit dem soldatischen, bzw. dessen und des heldentods verherrlichung

Kolbenheyer - der war doch zur ns-zeit der hansdampf in allen gossen

Stehr - mir nicht geläufig

zum fronterlebnis und seiner verarbeitung während der weimarer republik einiges bei sloterdijk, kritik der zynischen vernunft.

Schauwecker - wird bei sloterdijk zitert, auch er ein verherrlicher von helden und heldentod

Johst; Hanns (1890 - 1978 [!])
das war doch der vom expressionisten zum braunen überdichter gewordene, gilt die eine passage in manns mephisto über den erst links- dann rechtsrevolutionären dramatiker nicht ihm? es kann sich natürlich auch um einen typus gehandelt haben. er jedenfalls der höchste ns-kulturfunktionär noch vor blunck, erstaulich langlebig...

Salomon
Dwinger
Zöberlein

auf noch einem anderen Blatt steht, dass der doktor mit dem klumpfuss selber ein drama verfasst haben soll, das heute eher in die rubrik unfreiwillige komik passen soll.

Die Jahreszahlen deswegen, weil die meisten dieser, ja was eigentlich? textverfasser, bereits zur weimarer zeit aktiv waren und auch noch in der brd lebten; sonderbar irgendwo, oder eben nicht.

Die Empfehlung für Mittenzwei, Werner: Der Untergang einer Akademie oder die Mentalität des ewigen Deutschen der Einfluß der nationalkonservativen Dichter an der Preußischen Akademie der Künste 1918 bis 1947, 1992 (nach der wikipedia) habe ich dankbar entgegengenommen.
 
danke für die weiteren nachweise.

Schäfer, Wilhelm; 1868 - 1952
vom naturalismus zum mistiker, sozusagen. arneo schmidt wies in seinem nachtprogramm müller oder vom gehirntier darauf hin, dass müllers stil nicht ohne auswirkungen aus die dreizehn bücher der deutschen seele des w. schäfer geblieben war (und auch nicht auf den stil der kriegstagebücher der wehrmacht)

Stehr, Hermann; 1864 - 1940
von schullehrer zum erfolgsautor, sonderbar oder eben nicht sonderbar, dass völkisch-mystisches in der weimarer zeit gefragt war und sich entsprechend verkaufte (was wird der, der in 50 jahren einen stapel 2001-kataloge vor sich hat, über die jetzige zeit denken?), in der ns-zeit rückzug in die innerlichkeit

Dwinger, Edwin Erich; 1898 - 1981 (!)
eher nationalist, freikorpsmann und antikommunist, der seine kundschaft in der wimaere wie in der ns-zeit und auch noch später bediente und sich so als brauchbar erwies. sein 1930 erschienenes "zwischen weiss und rot" muss ein ausgesprochener bestseller gewesen sein, es findet sich zuweilen noch in nachlässen und auf flohmärkten (überhaupt eine erstaunliche fundquelle für drittreichiges)

Zöberlein, Hans; 1895 - 1964
freikorpsmann und ns der ersten stunde, teilnahme am hitler-putsch, nazi bis zum ende, der zu kriegsende zum täter wurde

Salomon, Ernst v.; 1902 - 1972
freikorpskämpfer, mittäter bei der ermordung rathenaus, im 3. reich eher unpolitisch, 1951 der fragebogen, eine kritik an der entnazifizierung, die damals aufsehen erreichte und hohe auflagen erzielte


zusammenfassend:

die genannten literaten stammen aus dem kaiserreich, erzeilten ihre litersrischen erfolge schon in der weimarer zeit um dann während der ns-diktatur entweder weitere karriere zu machen oder wenigstens vereinnahmt zu werden.

da gab es noch weitere:
hier eine fundstelle: http://www.aurora-magazin.at/gesellschaft/mueller.htm
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