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09
August
Tucholsky gegen Business-Blogs
Weil manche ja vor nichts zurückschrecken und den guten Theobald Tiger schon für PR-Zwecke vor ihren Karren spannen möchten, hier ein Zitat, das hoffentlich das Wesentliche mal klarstellt:

"Das Kapital beginnt heute das Schlimmste zu tun, was es gibt: es kauft sich - nicht die Köpfe, die kann man nicht kaufen, - aber die Mäuler. Der Deutsche hat nicht den Mut des Amerikaners, Geld und nur Geld zu machen, - er muß das bemänteln. Er muß sagen, warum er es tut. Und engagiert sich allerlei Leute, die das Kapital und die Industrie als Kulturveranstaltungen preisen. Aber das Kapital hat mit Kunst und Kultur nichts zu schaffen. (GA I, 29. 6. 1913, 220 f)"

Und zugleich wissen wir jetzt auch, aus welchem Geist das Schleswig-Holstein-Musikfestival entstanden ist:

In Schleswig-Holstein blüht die Kultur

 
 
Aha, das Problem ist also schon älter:
"Noch in seinen politischen Reden sprach er [= Yves Farge] keine Zeitungssprache, sondern die Menschensprache. Das ärgerte die Berufspolitiker."
(Ilja Ehrenburg, Memoiren III, 571)

 
 
Vom Nutzen der Recherche
Gestern kam ein Freund zu Besuch. Der will einen Kriminalroman schreiben, der unbedingt in Herne spielen soll. Da kommt er nämlich her. Deswegen will er nochmals dorthin, um in der Landschaft seiner Jugend zu recherchieren. Ich habe ihn gefragt, ob das denn nötig sei? Okay, wenn man über Faktisches schreibe, wie meinethalben Fontane über die Mark Brandenburg, dann sei Recherche sicherlich unverzichtbar, dann müsse jeder Stein auch dort zu finden sein, wo ihn der Schreiber hinlegt. Aber bei einem Roman?

Als Beispiel führte ich Stendhal ins Feld. Für "Rot und Schwarz" genügt dem ein kurzer Zeitungsauschnitt, um die großartige Geschichte um Julien Sorel aus dem Boden zu stampfen. Und den Inhalt dieses Zeitungsauschnittes hat er auch noch "verfälscht", damit die Geschichte "richtiger" wird. Resultat: Weltliteratur - lebendig wie am ersten Tag. Stendhal sagt ferner, er gäbe sich niemals in seinen Büchern mit der Beschreibung des Äußeren seiner Personen ab, das überließe er komplett der Phantasie seiner Leser.

Jetzt will mein Freund nicht mehr nach Herne fahren, sondern aus seiner durch und durch verlogenen Erinnerung schöpfen. Die dortige Tourismus-Zentrale möge mir bitte verzeihen ...


So schön ist nur Herne

 
 
Vergleichen - aber richtig
Vergleiche sind ein zweischneidiges Schwert. Wenn sie gut sind, müssen sie:

a) ungewohnte Einsichten bieten
b) genügend Parallelen aufweisen
c) und dem Zuhörer das Thema nahebringen.

Verschieben wir also einfach mal den Libanonkrieg auf deutschen Boden.

Skinheads mit Katjushas
Bekanntlich handelt es sich - nach Ansicht einiger Revanchisten und Immobilienspekulanten - bei den Gebieten östlich von Oder und Neisse um "urdeutsches Territorium", das von den Polen widerrechtlich "besetzt" ist. Zweitens sind in der Region um die sächsischen Barockschlösschen die Neonazis bei den Bewohnern erstaunlich beliebt. Deren Kampforganisation wiederum, das sind die Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), die in ihrer runenhaften Intelligenz ultrafundamentalistisch an eine germanische Herrenreligion glauben, die ihnen ein obdachloser Prophet aus dem Österreichischen verkündet haben soll. Drittens - und nur das ist von all dem jetzt Fiktion - hat die Bundesregierung die Bundeswehr aus Sachsen komplett abgezogen, weil sie sonst die Gefahr eines Bürgerkriegs befürchtet und weil die Bundeswehr angeblich zu schwach wäre, gegen die Skinheads vorzugehen. Jedenfalls sagt unsere Regierung das, wenn internationale Organisationen an sie herantreten - und sie nimmt prompt auch noch zwei sächsische Skinheads als Minister in die Regierungsmannschaft auf. Fazit: Die Skinhead-Milizen haben im südlichen Libanon in Sachsen nicht nur die alleinige Macht, sondern auch Unterstützung in der Regierung.

Wenn die Neisse der Litani wäre

Lange Zeit feuern diese Milizen, die im arbeitslosen Osten viel Zulauf finden, einmal wöchentlich eine ihrer Katjushas in ungefährer Richtung auf Tel Aviv Warschau ab. Das gehört in Sachsen zur Folklore, wo man unentwegt auf "die Polacken" schimpft (wörtlich heißt es: "de Bolaggn"). Die Raketen erhält man vom Iran, wohin es alle Rechten von Udo Voigt bis Oskar Lafontaine gern mal zieht. Außerdem sind diese Perser ja gewissermaßen "auch Arier". Als die Skinheads eines Tages auf polnisches ähh "urdeutsches" Gebiet vordringen und drei polnische Soldaten kidnappen, marschiert die polnische Armee in Sachsen ein. Und sie ballert auch auf die Wohnhäuser, wo die SSS-Raketenstellungen hinter den Fenstern installiert sind. Denn ein echter Skinhead, der ist bekanntlich die meiste Zeit ein braver Bürger mit spießigem Hintergrund, der sich nur bei Bedarf in den Lonsdale-Frack wirft. Die Bundesregierung zetert, ruft den UN-Sicherheitsrat an, hält aber die Bundeswehr - weil angeblich zu schwach - komplett zurück. Und lässt die polnische Armee den Job erledigen, der eigentlich ihre Aufgabe gewesen wäre.

Gut - alle Vergleiche hinken. Aber der hinkt doch erstaunlich wenig ...

 
 
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